Es sind ebenso kuriose wie spannende Fälle, die Bettina Mittelacher in ihrer Gerichtskolumne beschreibt. Es geht um kaum beachtete, aber interessante Prozesse vor Amtsgericht und Landgericht.

Der Mann wirkt besonnen. Ein Mensch mit Augenmaß, gelassen und erfahren. Keiner, der schnell aus der Haut fährt, der bei jeder Kleinigkeit die Obrigkeiten einschaltet. Sonst hätte Herbert K. auch viel zu tun. Ärgerliche Huperei, wütendes Geschimpfe und Pöbeleien - der 62-jährige Berufskraftfahrer hat solche Reaktionen schon häufiger erlebt, wenn er wieder einmal mit seinem Transporter auf der Fahrbahn parken muss, um Wagen vor Autohäusern abzuladen. Viele Verkehrsteilnehmer ärgern sich darüber, das weiß er.

Doch jetzt ist das Maß voll und Herbert K. tatsächlich "geschockt und erschüttert". Aus dem Gleichgewicht gebracht durch einen Rentner, der gleichsam zum Rambo wurde. Deshalb ging Herbert K. zur Polizei und erstattete Anzeige wegen Bedrohung gegen den Autofahrer Heinz I., der sich jetzt vor dem Amtsgericht verantworten muss.

Den Angeklagten und das mutmaßliche Opfer trennen nur wenige Lebensjahre. Auch Heinz I. hat die 60 überschritten, um sechs Jahre ziemlich genau, doch die Zeit hat ihn offenbar nicht gelassener werden lassen. Sondern empfindlich und reizbar. Laut Anklage hat er aus Verärgerung über den auf der Straße geparkten Transporter von Herbert K. ein Messer mit einer Klingenlänge von 15 Zentimetern gezogen und dem Fahrer gedroht: "Du dumme Sau, ich steche dich ab."

Wütend sei er gewesen, in der Tat, räumt der schnauzbärtige Angeklagte ein. Denn der Lkw-Fahrer habe nicht rechtzeitig angezeigt, dass er parken wolle, und ihn damit behindert. "Da habe ich das Beifahrerfenster heruntergelassen und gefragt, ob er 'hier parken muss, du Mors'." Daraufhin sei der andere Mann seinem Wagen aufgebracht hinterhergerannt. "Ich zog ein kleines Taschenmesser und hielt es hoch, damit er es sieht. Ich hatte Angst, dass er mir was tut." Das Messer habe er im Wagen gehabt, "um mal was zu schneiden und nicht etwa, weil es im Verkehr gefährlich ist", winkt Heinz I. ab.

"Das ist ja dummes Zeug."

Ein eher betuliches Wort sei "Mors", findet der Staatsanwalt. "Kaum vorstellbar, dass einer deswegen jemanden verfolgt. Da müsste der schon sehr empfindlich sein!" Plausibler erscheint da eher die Version des Zeugen. Die Bedrohung mit dem Messer sei furchterregend gewesen, schildert der 62-Jährige. "Ich habe Panik gekriegt und dachte, wenn der jetzt aussteigt, musst du flüchten. Er war so in Rage. Ich wollte es nicht eskalieren lassen", schildert er, noch immer verstört über die Bedrohung.

Ob der Angeklagte dem Zeugen noch etwas sagen wolle, regt der Staatsanwalt an. "Ja, hätte er rechtzeitig angezeigt, dass er halten will, wäre nichts passiert", ereifert sich Heinz I. erneut. "Ich dachte, dass Sie sich vielleicht entschuldigen wollen", präzisiert der Ankläger.

Doch mit seinem gut gemeinten Rat stößt er auf Granit. "Wofür sollte ich mich entschuldigen", versetzt der Rentner. "Für einmal anblaffen?" Empörung schwingt in seiner Stimme mit, Trotz und Wut. Einlenken? Für ihn undenkbar.

Dabei wäre es weise gewesen. Das macht ihm der Amtsrichter in der Urteilsverkündung klar. Eine Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu 60 Euro verhängt er. Doch wenn Heinz I. die "Goldene Brücke", die der Staatsanwalt ihm bauen wollte, angenommen und sich entschuldigt hätte, wäre auch eine Einstellung des Verfahrens denkbar gewesen, betont der Richter. Die Bedrohung hält er für eine "einmalige Entgleisung. Verständlich, dass Sie sich über das Parkverhalten geärgert haben. Aber es ist nicht verständlich, dass es in dieser Form zur Attacke kommt." Sorge bereite ihm auch, dass Heinz I. ein derartiges Messer griffbereit hatte. "Sehen Sie zu, dass so etwas nicht mehr passiert."

Mit diesen deutlichen Worten hat der Angeklagte nicht gerechnet. Noch als die Verhandlung beendet ist, sitzt der 66-Jährige wie versteinert da. Schließlich schüttelt er ärgerlich den Kopf und verlässt den Gerichtssaal - der Mund schmal, die Hände in den Jackentaschen vergraben. Gelassenheit sieht anders aus.