Abendblatt-Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher schreibt über den kuriosesten und spannendsten Fall der Woche.

Ein sprichwörtliches Büßerhemd hätte ihr gut gestanden. Eine gewisse Zerknirschtheit und eine aufrichtige Entschuldigung. Dann wäre die peinliche monetäre Angelegenheit einigermaßen glimpflich aus der Welt zu schaffen gewesen. Doch Mirabel M. ist keine Frau, die kleinlaut daherkommt, sondern vielmehr mit dem Temperament und der Kratzbürstigkeit einer Wildkatze ausgestattet ist. Die ihre Krallen ausfährt und kämpft - auch wenn ein Rückzug längst die Erfolg versprechendste Strategie wäre. Die 24-Jährige stürmt offenbar lieber mit dem Kopf durch die Wand. Koste es, was es wolle.

Und so wird es am Ende im Prozess vor dem Amtsgericht unnötig teuer für die ungestüme Hamburgerin. Vor allem im Vergleich mit den eher bescheidenen 20 Euro, die sie im Januar einer Bekannten in deren Wohnung aus dem Portemonnaie gestohlen haben soll. Es ist ein Vorwurf, den die wegen Diebstahls vorbestrafte Frau mit einer wegwerfenden Handbewegung als "Schmarrn" abtut. Dabei hatte sie laut Aussagen von Zeugen die Tat schon längst zugegeben.

Doch jetzt ergießt sich über die Prozessbeteiligten ein lebhafter Wortschwall, mit dem die schwarzhaarige Angeklagte gleichsam zum Angriff übergeht. Der ganze Körper wie unter Strom und sprungbereit, schildert sie jenen Abend als "ganz normales Sit-in, wir haben nur miteinander rumgehangen". Im Schlafzimmer ihrer Bekannten habe sie lediglich am Computer eine Bahnverbindung checken wollen. Ihre Nervosität, die Zeugen beim Verlassen des Schlafzimmers beobachteten, ihr späteres Eingeständnis des Diebstahls - nichts dämpft den kämpferischen Elan von Mirabel M. Sie habe die Tat gegenüber ihrer Bekannten am Telefon nur deshalb zugegeben, faucht die Angeklagte, "weil die mich permanent genervt hat. Deshalb habe ich es aus Witz eingeräumt. Es war nur ein Scherz."

Doch als amüsante Clownerie kann das Opfer Stella D. die Angelegenheit nun wirklich nicht empfinden. Es habe seinerzeit eine "kleine Feier zu viert" im Wohnzimmer ihrer Wohnung gegeben, erzählt die 26-Jährige. "Das Portemonnaie lag offen auf dem Tisch im Schlafzimmer." Die Angeklagte sei als Einzige in dem Raum gewesen. "Als ich ins Schlafzimmer kam, war sie erschrocken und danach irgendwie hektisch. Sie sagte, ihr Bus komme gleich." Als sie wenig später den Diebstahl bemerkt habe und Mirabel M. am Telefon zur Rede stellen wollte, habe diese "frech reagiert". Aber am nächsten Tag habe sie es dann zugegeben und erzählt, sie habe sich von dem Geld eine Telefonkarte gekauft.

Ob es möglich sein könne, dass die Angeklagte den Diebstahl nur zum Spaß eingeräumt hat, möchte der Richter wissen. "Nein, ganz bestimmt nicht." Mirabel M. habe sich auch nicht entschuldigt. Sie sei menschlich enttäuscht von ihrer Bekannten, sagt die Zeugin traurig. "Ich wollte einfach nur, dass sie ehrlich ist. Es war eine Frage der Charakterstärke. Ich hätte sie, wenn sie es zugegeben hätte, auch nicht angezeigt."

Doch die Angeklagte hat für diesen Großmut kaum mehr als ein abfälliges Schnauben übrig, das sich zu empörten Protesten steigert, als der Richter sein Urteil verkündet: 60 Tagessätze zu 8 Euro Geldstrafe verhängt er für die von Hartz IV lebende 24-Jährige. Er habe "keinen Zweifel, dass Sie es waren", begründet er sein Urteil. Entscheidend sei dabei das Telefonat gewesen, in dem Mirabel M. den Diebstahl zugegeben habe. Und es sei nicht nachvollziehbar, dass die Zeugin sie zu Unrecht belasten wolle, "nicht mit so einer läppischen Summe".

Doch die Angeklagte mag das nicht mit anhören. Zischt ihren Unmut lauthals hinaus, sodass der Richter nach mehrmaliger Verwarnung ein Ordnungsgeld von 150 Euro verhängt. Doch auch diese disziplinarische Lektion zügelt ihr Temperament nicht. Während der Vorsitzende sie belehrt, dass sie das Urteil mit einem Rechtsmittel anfechten kann, klatscht Mirabel M. in die Hände und frohlockt: "Das mach ich!" Der Amtsrichter warnt: "Haben Sie es so dicke, dass Sie hier weiter Alarm machen wollen? Das kann richtig teuer werden!"

Das sitzt: Die Aussicht auf weitere erzwungene Ausgaben dämpft ihre Kampfbereitschaft. Sogar, als der Richter die Sitzung beendet und ihr mit auf den Weg gibt, sie könne "jetzt gehen und sich von mir aus draußen weiter aufregen", bleibt sie friedlich. Packt ohne zu fauchen ihre Sachen und geht. "Wünsche schönen Tag noch!", ruft sie, schon an der Tür, zurück in den Saal. Die Wildkatze - plötzlich handzahm wie ein Stubentiger.