Abendblatt-Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher schreibt über den kuriosesten und spannendsten Fall der Woche.

Eine U-Bahn-Station am Stadtrand ist auch beim allerbesten Willen kein romantischer Ort. Und noch dazu im nasskalten Dezember gänzlich ohne kuscheliges Flair. Doch Jens B. war trotzdem warm ums Herz, als er des Nachts zum Bahnhof eilte, um dort die Frau seiner Träume zu treffen. Nur dass nicht seine Angebetete kam, sondern deren Ehemann - mit gehörig Wut im Bauch und Pistole in der Hand. Und so gab es statt glühender Leidenschaft eine emotional eisig kalte Dusche voller Stress und Drohungen. Ein Rendezvous sieht anders aus.

Jetzt, rund sechs Monate später, treffen sich der verhinderte Liebhaber und der verärgerte Gatte notgedrungen wieder. Im Prozess vor dem Amtsgericht, wo sich der Pistolenmann wegen versuchter Nötigung und Verstoßes gegen das Waffengesetz verantworten muss, weil er laut Anklage seinem Kontrahenten Schläge androhte und zwei Schüsse aus seiner mit Knallpatronen geladenen Schreckschusspistole abfeuerte. Doch vor dem Richter wirkt der Angeklagte Sven K. alles andere als ein Rächer in Cowboymanier. Zerknirscht kauert der 34-Jährige auf seiner Bank, den kräftigen Oberkörper in Büßerhaltung vorgebeugt, die Stimme so zaghaft, dass er nur mit Mühe zu verstehen ist. "Ich war zerstreut und durch den Wind und angetrunken", ringt der gelernte Elektriker um Verständnis für seine nächtliche Aktion am U-Bahnhof. "Und dieser Typ hatte immer wieder meine Frau angebaggert." Zwei Wochen lang sei das so gegangen, der Mann habe seiner Gattin mehrfach SMS geschickt. "Da stand dann: 'Ich habe dir mein Herz rübergeschickt' und all so'n Zeug", erinnert sich Sven K. kopfschüttelnd. Doch bei seiner Frau sei "kein Interesse gewesen", versichert er eifrig, "wir sind ja noch zusammen." Seine Frau habe die Liebesbotschaften auch nicht gemocht. Sie habe Jens B. angerufen und ihm bei einem Treffen am U-Bahnhof sagen wollen, "dass das Blödsinn ist".

Doch tatsächlich habe er selber dann die Verabredung genutzt, um den anderen Mann gehörig in die Schranken zu weisen. "Der rannte aber weg, ich brüllte ihm hinterher und habe auch einmal in die Luft geschossen." Er sei "im Brausebrand gewesen und auf 180". Heute halte er sein Benehmen "natürlich für dumm. Ich habe so was auch noch nie gemacht." "Sie haben überhaupt noch nie irgendwas gemacht", bemerkt der Richter mit Blick in das Vorstrafenregister von Sven K., das tadellos sauber ist.

Doch mit seiner nächtlichen Attacke hat er bei seinem Widersacher Jens B. offenbar einen deutlich weniger friedlichen und nachhaltigen Eindruck gemacht. Ins Zeugenschutzzimmer hatte sich der 32-Jährige aus Angst vor möglichen Aggressionen vor seiner Aussage zurückgezogen. Und auch jetzt, als er den Verhandlungssaal betritt, scheint der Schock von damals noch tief zu sitzen. Alles an der Körpersprache des eher zierlichen Mannes signalisiert Fluchtbereitschaft: sein verhuschter Blick, seine leicht geduckte Haltung, die zögerlichen Schritte.

"Hier ist wirklich niemand, der Sie verprügeln will", versichert der Amtsrichter und weist auf die gänzlich friedlich aussehenden Schüler, die hinten im Saal Platz genommen haben. Und als auch der Angeklagte auf Bitten des Richters, sich etwas nach hinten zu setzen, sich reumütig in eine Ecke des Raumes verzieht, kann sich der Zeuge ein klein bisschen entspannen. Er habe die Frau auf einem Lehrgang kennengelernt, erzählt der 32-Jährige, danach hätten sie immer wieder per Handy Mitteilungen ausgetauscht. "Ihr Mann wusste nichts davon." Ob er angesichts der Liebesbotschaften und der nächtlichen Verabredung Verständnis für den Angeklagten habe, "dass der eifersüchtig ist", will der Amtsrichter wissen. Der Zeuge nickt kleinlaut. Aber der Kontakt zwischen ihm und der verheirateten Frau sei "von uns beiden ausgegangen", versichert er. Wie die Mutter dreier Kinder selbst die Sache sieht, behält sie vor Gericht für sich. Als Zeugin geladen, beruft sie sich auf ihr Recht, als Gattin des Angeklagten zu schweigen, und verlässt eilig den Saal.

Es tue ihm leid, "dass das aus dem Ruder gelaufen ist", entschuldigt sich der Angeklagte zaghaft beim Zeugen. "Ich habe heute auch keinen Kontakt mehr zu Ihrer Frau, ehrlich nicht", versichert daraufhin Jens B. Bei so viel Harmonie ist auch der Richter milde gestimmt. "Dass Sie sauer waren, dafür habe ich ein gewisses Verständnis", sagt er zum Angeklagten. "Aber Sie dürfen nicht mit einer Waffe rumlaufen", mahnt er eindringlich. Mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft stellt er das Verfahren mit der Auflage ein, dass der arbeitslose Sven K. 50 Stunden gemeinnützige Arbeit leistet. Der 34-Jährige nickt ergeben und geht hinaus auf den Flur, wo seine Frau und der Zeuge beisammenstehen und reden. Jetzt, ohne Brausebrand, hält sich die Eifersucht in deutlichen Grenzen. "Ciao", ruft er seinem Widersacher locker zu und schlendert mit seiner Frau von dannen.