Abendblatt-Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher schreibt über den kuriosesten und spannendsten Fall der Woche.

Sie waren Freunde, schon ewig. Damals, in Kindertagen, als der eine dem anderen die Brötchen brachte. Und später immer noch, als der eine sich entschloss, sein Auskommen als Kunstmaler zu versuchen und der andere nach unsteten Jahren als Kapitän zum Rechtsanwalt umsattelte. Freunde fürs Leben, so schien es. Bis ein Porträt von Ex-Kanzler Gerhard Schröder zwischen sie kam. Ein Gemälde, an dem das Herz des einen hing und die pekuniären Interessen beider Männer. Und das damit genügend Zündstoff lieferte, um ihre jahrzehntelange Freundschaft zu zerstören und einen der Kontrahenten als Angeklagten vor Gericht zu bringen.

Unterschlagung und Bedrohung lautet der Vorwurf gegen Jürgen S. Im Streit um besagtes Schröder-Porträt soll der 60-Jährige das Gemälde zu Unrecht in seinen Besitz gebracht und seinem Freund, dem Maler Hans-Jürgen W., zudem in einem Telefonat gedroht haben, ihm würden "demnächst alle Knochen gebrochen", und er solle aufpassen, dass er "nicht bald erschossen in einem Straßengraben liegt".

Starker Tobak angesichts eines Gemäldes, bei dem sich hinsichtlich der künstlerischen Qualität die Geister ganz erheblich scheiden. Für den Maler hat es neben dem ideellen Wert auch einen ganz sachlichen von 18 000 Euro. Und doch fristete es selbst bei einer Ausstellung in einem Friseursalon ein stiefmütterliches Dasein und fand keinen Käufer. "Über Ähnlichkeit oder nicht kann man sich streiten", meint der Verteidiger im Prozess denn auch mit Blick auf eine Kopie des Gemäldes. Auf dem Bild habe der Ex-Kanzler "eher so einen Quadratkopf wie Boris Karloff in 'Frankenstein'". Vielleicht, überlegt der Anwalt, wäre das Bild "ja auch was für den Partykeller von Frau Merkel - als Dartsscheibe". Und der Vorsitzende Richter findet es "pikant, dass das Schröder-Bild angesichts des früheren Rechtsstreits über seine Haarfarbe ausgerechnet beim Friseur hängen sollte".

Doch hier geht es nicht um Tönen oder Färben, sondern um Geld. Das Gemälde sowie etliche andere seien ihm als Bezahlung für anwaltliche Beratung von der Mutter des Malers "regelrecht aufgedrängt worden", grummelt der weißhaarige Angeklagte im Prozess vor dem Landgericht. Ansonsten schweigt der kräftig gebaute Mann zu den Vorwürfen, die ihm in erster Instanz vor dem Amtsgericht eine Verurteilung zu einer neunmonatigen Bewährungsstrafe eingehandelt haben. Überhaupt wirkt er geradezu teilnahmslos. Für ihn, der seine Zulassung als Rechtsanwalt längst verloren hat, geht es in der Berufungsinstanz vor dem Landgericht nicht mehr um seine Unschuld und einen Freispruch. Sondern nur noch darum, in welcher Form seine Taten geahndet werden sollen.

Strafrechtlich ist Jürgen S. ohnehin kein unbeschriebenes Blatt. Wegen mehrerer Vermögensdelikte hat er bereits eine zweijährige Bewährungsstrafe in seinem Vorstrafenregister. Und demnächst kommt noch ein Prozess wegen Falschaussage hinzu. Jenes Verfahren ist es auch, das dem 60-Jährigen eine mehrwöchige Untersuchungshaft und den Transport zu seinem neuesten Prozess in Handschellen eingehandelt hat, weil er trotz Ladung als Angeklagter nicht im Gericht erschienen war. Dieser steten Unpässlichkeit wollte man nun mit unmissverständlichen Mitteln abhelfen.

Und so blickt der Angeklagte nur stur zu Boden, als der Vorsitzende Richter die Feststellungen zur Sache aus dem Amtsgerichtsurteil zitiert. Demnach hatte Maler Hans-Jürgen W. seinen Freund Jürgen S. für diverse rechtliche Beratungen mit Bildern entlohnt. Als der Künstler eines Tages auf Sylt weilte, nutzte der Angeklagte die Gelegenheit, ein Gemälde namens "Blumenvase mit Klatschmohn" von der Wand und mit zu sich nach Hause zu nehmen. Doch dieser Streit wurde offenbar schnell beigelegt, und Anwalt und Maler kamen schnell wieder zu einer fruchtenden Beziehung. Er wolle mit seinen Geschäftsbeziehungen den Verkauf der Bilder ankurbeln, versprach Jürgen S. demnach und organisierte, dass einige der Gemälde, so auch das Schröder-Bild, bei einem Friseur ausgestellt werden sollten. Als der Maler später aus Frust über den mangelnden Verkaufserfolg die Gemälde wieder einsammeln wollte, fehlten mehrere, unter anderem des Bild des Ex-Kanzlers.

Der Richter regt eine Einstellung des Verfahrens an mit der Auflage, dass Jürgen S. die Gemälde an seinen früheren Freund zurückgibt. Er habe herumtelefoniert, erklärt der Verteidiger dazu. "Der Schröder ist wieder da, hurra", verkündet er mit leicht spöttischem Unterton. Ebenso seien vier weitere Bilder verfügbar. Und der Richter ergänzt: "Schröder stand immer im zentralen Interesse des Geschädigten." Und so wird entschieden, dass der Angeklagte dem Geschädigten die Bilder herausgibt. Der Schmerz über den Verlust der Gemälde scheint sich in sehr überschaubaren Grenzen zu halten. Jürgen S. zuckt lediglich gleichmütig mit den Schultern. Und sein Verteidiger erkennt ohnehin vor allem Erfreuliches an der Vereinbarung: "Jetzt haben Sie endlich wieder Platz an Ihren Wänden."