Abendblatt-Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher schreibt über den kuriosesten und spannendsten Fall der Woche.

Es sollte ein prickelnder Abend werden. Aufregend, anregend, mit reizenden Begegnungen. Eben allem, was der Kiez so Nettes zu bieten hat. Doch am Ende stand der ganz große Frust - das Gefühl, in einem Etablissement, das Tabledance verspricht, vor allem maßlos über den Tisch gezogen worden zu sein. 1107 Euro unter anderem für sieben halbe Flaschen Schaumwein standen schließlich auf der Rechnung, die André J. nach einem Besuch in dem Laden präsentiert wurde. Ihm, der doch lediglich zwei Bier getrunken und mit zwei Damen nett geplaudert hatte.

Das schrie in den Augen des 25-Jährigen geradezu nach Betrug. Nach Geldschneiderei. Nach Abzocke. Der Mann weigerte sich zu zahlen, rief die Polizei.

Nun war es wohl etwas naiv von dem Gast anzunehmen, dass ihn das schäumende Getränk, das seine entzückend aufmerksamen Gesprächspartnerinnen mit scheinbar unstillbarem Durst hinunterkippten, überhaupt nichts angehe. Jetzt vor dem Amtsgericht, wo sich die Inhaberin des Etablissements wegen versuchten Betruges für den Vorfall vom vergangenen November verantworten muss, geht es denn auch nur am Rande um die astronomisch hohe Rechnung.

Im Fokus steht die Tatsache, dass auch Schaumwein drin sein muss, wo Schaumwein draufsteht. Waltraud M. wird vorgeworfen, dass mitnichten das noble Getränk ausgeschenkt wurde, das auf der Rechnung verzeichnet war, sondern ein laut Anklage "minderwertiges, billiges alkoholisches Mischgetränk". Damit habe die 57-Jährige einen Verstoß gegen das Weingesetz begangen, so die Staatsanwaltschaft.

Das sei schlicht ein Missgeschick gewesen, eine Verwechslung, wehrt sich die Angeklagte gegen die Vorwürfe. Sie sei gerade dabei gewesen, das Mischgetränk neu in die Karte aufzunehmen. "Aber die Karten waren noch nicht fertig gedruckt. Die Kellnerin hat einfach falsch gegriffen. Da war keine Absicht dabei und kein Betrug", betont Waltraud M.

Sehr aufrecht sitzt die gertenschlanke aparte Frau da, das grau melierte Haar locker hochgesteckt, die Stimme fest. Sie habe für die Damen "etwas Süffiges" haben wollen, "mit weniger Alkohol, damit die Mädels nicht immer alkoholisiert von der Arbeit nach Hause gehen". Sie habe "täglich damit gerechnet", dass sie die fertigen Karten kriege. Deshalb seien die Flaschen schon eingeräumt gewesen. Als eine Angestellte dann angerufen und erzählt habe, dass ein Gast die Polizei gerufen hatte, habe sie gesagt: "Um Gottes willen! Rührt die Flaschen nicht an!"

Auf einer damals sichergestellten Karte sei das alkoholische Mischgetränk jedenfalls nicht aufgeführt, stellt die Richterin mit Blick auf das Schriftstück fest. Die neue Karte indes ist aktualisiert, die 0,375-Liter-Flasche des Getränks mit 130 Euro aufgelistet. Der Gast wird in einem Hinweis gebeten, die Karte "genau" einzusehen. "Eine Bestellung ist ein Auftrag, der zur Zahlung verpflichtet." Wieso das dort extra betont werde, wundert sich der Staatsanwalt. "Das steht da halt", schnappt Waltraud M. ungeduldig. "Das war schon immer und ewig so."

Doch André J. hat wohl nicht so genau hingesehen. Jedenfalls nicht in die Karte. Er habe selbst nur die beiden Biere getrunken, erinnert sich der groß gewachsene 25-Jährige. "Da hatte ich mich vor dem Bestellen noch erkundigt, was das kostet. Es war mehr als normal, aber okay." Als er dann die Rechnung gesehen habe, sei das ein Schock gewesen. "Da stand ein Fantasiebetrag. Ich habe mich geweigert zu zahlen." Die Amtsrichterin hakt nach: "Auf der Rechnung standen aber auch Schaumwein und Orangensaft. Das sind die Getränke, die üblicherweise die Damen trinken. Haben Sie sie eingeladen?" "Definitiv nicht", wehrt der Zeuge mit Nachdruck ab. Aber "bestimmt" hätten sie ihn gefragt, ob er sie einlade. "Ich weiß allerdings nicht, was ich darauf gesagt habe." Die Damen hätten aus Sektschalen getrunken, erinnert er sich. "Darüber habe ich mir aber keine Gedanken gemacht, weil ich es nicht bestellt hatte."

Es sei ja nun so, sagt der Staatsanwalt "aus eigener Erfahrung", dass in derartigen Etablissements "die Getränkepreise sehr teuer sind. Und die Animierdamen sind angehalten, sich einladen zu lassen. Hatten Sie schon Erfahrung damit?" Nein, das habe er so nicht gewusst, entgegnet der 25-Jährige. Er sei von einer Art Türsteher in den Laden gebeten worden, erzählt er. Dann habe er dort gesessen und geredet.

Ein finanzieller Schaden sei laut Staatsanwalt nicht entstanden, weil André J. nicht gezahlt habe. Bleibe noch der Verstoß gegen das Weingesetz. Es gäbe neue Karten, deshalb werde das so nicht wieder vorkommen. Der Ankläger schlägt eine Einstellung des Verfahrens gegen eine Zahlung von 300 Euro vor. Richterin und Angeklagte stimmen zu. Eine Ratenzahlung brauche sie nicht, sagt Waltraud M. Es scheint ein zahlbarer Betrag für sie zu sein. Eine Summe, für die ihre Gäste keine zwei Flaschen Schaumwein bekommen.