Abendblatt-Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher schreibt über den kuriosesten und spannendsten Fall der Woche.

Der Mann ist Kummer gewohnt. Wütende Blicke, Pöbeleien, Beleidigungen - das regt ihn kaum noch auf. Denn Hans-Jürgen G. ist Angestellter im Polizeidienst, einer von denen, die Knöllchen verteilen. Und die damit naturgemäß nicht sonderlich beliebt sind. Doch es gibt Grenzen, wo die Toleranz bis zum Äußersten strapaziert ist und irgendwann auch schlicht überdehnt. Zwei Tage vor Heiligabend war es so weit - der Eklat, den der 53-Jährige nicht mehr dulden wollte. Er erstattete Anzeige gegen einen Mann, der ihn im Streit um ein Knöllchen gleichsam in Stierkampfmanier auf die Motorhaube seines Wagens genommen haben soll.

Giovanni M. ist definitiv ein temperamentvoller Mann. Einer, der mit rasantem Tempo redet und der mit lebhaften Gesten seine Worte untermalt. Aber ein derartiger Angriff? Nichts sei dran an den Vorwürfen, verteidigt sich der 35-Jährige mit Empörung in der Stimme gegen die Anklage, die ihm Beleidigung und gefährliche Körperverletzung vorwirft. Der gelernte Versicherungskaufmann hat laut Staatsanwaltschaft dem Angestellten der Polizei, der ihm ein Knöllchen verpasste, den Verwarnzettel mit den Worten: "Den kannst du dir in den Arsch stecken" in die Jacke geschoben. Als der Polizist die Personalien feststellen wollte, soll der 35-Jährige in sein Auto gestiegen, wiederholt auf ihn zugefahren sein und zweimal dessen Schienbeine touchiert haben. Anschließend, so die Anklage weiter, fuhr er mit Schwung auf den Zeugen zu, sodass der auf die Motorhaube geriet und sich am Scheibenwischer festhalten musste.

Ihm sei bewusst, erklärt Giovanni M., dass der Knöllchenschreiber "nur seine Arbeit macht. Ich war früher im Außendienst tätig und habe bestimmt schon 2000 Strafzettel bekommen, aber ich habe noch nie jemanden angepöbelt." Er habe seinerzeit in Altona ein Restaurant geführt und dort in der Straße nur kurz seinen Wagen entladen wollen, erzählt er. Das Knöllchen habe er wütend auf den Boden geworfen, "aber nichts Beleidigendes gesagt". Dass der Polizist trotzdem seinen Ausweis habe sehen wollen, habe er "als Schikane empfunden. Wir haben uns zweieinhalb Jahre jeden Tag gesehen. Er wusste genau, wer ich bin."

Der Zeuge habe "mit ausgebreiteten Armen" vor seinem Wagen gestanden und ihn so am Wegfahren hindern wollen. "Ich fuhr einen großen Bogen, er fasste von der Seite an den Scheibenwischer." Sein Wagen habe eine "ganz, ganz lange Motorhaube", argumentiert der Angeklagte. "Da kann man nicht von vorn an den Scheibenwischer, das ist unmöglich, auch mit einem Hechtsprung nicht. Ich habe es ausprobiert", rattert Giovanni M.

Doch der Zeuge bestätigt in seiner Aussage die Anklage. Giovanni M. sei aufgeregt aus seinem Restaurant gestürmt, als er ihm einen Verwarnzettel an den Wagen geklemmt hatte, und habe gefragt, wo er denn sonst parken solle, erinnert sich der 53-Jährige. "Ich habe ihn auf eine 100 Meter entfernte Ladezone aufmerksam gemacht. Als er einwendete, die Pakete seien zu schwer, sagte ich, er solle sich eine Sackkarre anschaffen." Dann sei er beleidigt worden, und schließlich sei Giovanni M. zweimal gegen seine Schienbeine gefahren. "Zur Seite konnte ich nicht, dafür war das Fahrzeug zu schnell, deshalb bin ich auf die Motorhaube gesprungen." Am Scheibenwischer habe er sich noch festgehalten, schließlich sei er zur Seite heruntergerollt. Er kenne den Angeklagten als jemanden, der "kontinuierlich parkt ohne Parkschein, der erst gezogen wird, wenn er die weiße Mütze gesichtet hat", erzählt der Polizist in Anspielung auf seine Dienstkleidung. Nach Ansicht eines Zeugen hat sich allerdings auch Hans-Jürgen G. "nicht unbedingt konfliktmindernd" verhalten. Denn der Knöllchenschreiber, der als "emsig" bekannt sei, habe sich "mit ausgebreiteten Armen vor den Wagen gestellt". Was er denn mit "emsig" meine, will der Amtsrichter wissen. Er habe schon oft Kontakt mit dem Polizisten gehabt, erzählt der Zeuge. "Wer ein oder zwei Minuten die Parkzeit überschritten hat, hatte gleich ein Ticket. Ich kann den Frust verstehen."

Der Ankläger betont, der Angestellte im Polizeidienst habe die "Pflicht und Aufgabe, dass er tätig wird", stellt er klar. "Keiner mag Bußgelder, ich auch nicht. Aber es kann nicht sein, dass wir die Bürger nicht schützen, die für uns einstehen. Das Geld wandert ins Stadtsäckel, und das ist für uns alle da."

Auf eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu zehn Euro für den arbeitslosen Angeklagten erkennt der Amtsrichter schließlich. Das Opfer sei "nur seiner Arbeit nachgegangen. Und dann passiert etwas, was nicht passieren darf. Sie haben einen Streit vom Zaun gebrochen." Den Vorfall habe der Zeuge glaubhaft und überzeugend geschildert.

"Die Auseinandersetzung hat sich hochgeschaukelt. Sie haben die Verletzung nicht gewollt. Aber auch wenn Sie nur langsam mit dem Auto auf jemanden zurollen, ist das gefährlich."