Alles ist angerichtet für den Anpfiff. Heute beginnt die 48. Bundesliga-Saison. Endlich haben auch die Stars den deutschen Fußball entdeckt.

Der Mann war eine Sensation. Auch wenn einige Fußballfans des 1. FC Köln im Sommer 1964 insgeheim gehofft hatten, dass der brasilianische Weltstar Pelé in das Trikot der Domstädter schlüpfen würde, hielt sich die Enttäuschung über den tatsächlichen Neuzugang in Grenzen. Denn auch Zézé, der dann als erster Brasilianer überhaupt in die ein Jahr alte Bundesliga wechselte, versprach Zauberfußball, Tricks und jede Menge spektakuläre Tore. Der Premieren-Stürmer vom Zuckerhut war Kölns Präsident Franz Kremer vor 46 Jahren immerhin 150 000 Mark wert. Bei seiner Ankunft auf einem Bananendampfer im Kölner Hafen am Rhein wurde Zézé von den Fans lautstark gefeiert.

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Ruud van Nistelrooy und Raúl Gonzalez Blanco werden den ersten Brasilianer der Bundesliga-Geschichte nicht kennen. Raúl kannte ja nicht einmal den Begriff "Meister der Herzen", der Schalke 04 im Sommer 2001 verliehen wurde, als die Bayern den Kickern aus Gelsenkirchen die schon sicher geglaubte Meisterschale erst durch ein Tor in der Nachspielzeit beim HSV vor der Nase wegschnappten. "Was für eine Tragödie", meinte Raúl jetzt in einem Interview mit der "Welt am Sonntag". Immerhin wusste der spektakulärste Neuzugang der Bundesliga, mit 66 Champions-League-Toren für Real Madrid der in dieser Rubrik beste Stürmer aller Zeiten, dass "Schalke über 50 Jahre ohne Titel ist".

Raúl will das ändern, und zwar möglichst schnell.

Auch Ruud von Nistelrooy will Titel gewinnen. Mit dem HSV .

Ruud und Raúl wissen, wie sich Meisterschaften anfühlen. Zweimal, 2007 und 2008, haben sie in Spanien gemeinsam die Trophäe in den Himmel gereckt. "Ich habe vorne gespielt, er ein bisschen dahinter", sagt van Nistelrooy über die glorreichen Zeiten bei Real Madrid, als die Mitspieler Robben und Robinho hießen.

Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass Schalke nach Raúl auch noch den Brasilianer Robinho verpflichten will. Robben dagegen spielt ja bereits in der Bundesliga. Der Turbo-Niederländer tat das in der vergangenen Saison so eindrucksvoll, dass ihn Deutschlands Sportjournalisten prompt zum "Spieler des Jahres" wählten.

Gäbe es die Kategorie "Fan des Jahres", käme Waltraut Hamraths ins Spiel. 76 Jahre alt, seit 1954 Stammgast bei Borussia Mönchengladbach. Sie war schon dabei, als die Spiele noch in einer stillgelegten Kiesgrube stattfanden. Sie ging dann immer auf den Bökelberg und kommt nun in den schmucken Borussiapark. Stehplatz, Block 16, denn "sitzen ist für'n Arsch". Sie hat zwei Schlaganfälle überlebt und sagt, ohne Fußball wäre sie schon tot.

Sie fiebert auf den Saisonstart und das nächste Spiel. Das brodelnde Gemeinschaftserlebnis, der ungewisse Ausgang, die sensationelle Wende. Deshalb sind Fans wie sie ansteckend. Und darum wird die Zahl derer, die sich mit dem Fußball-Virus infiziert haben, immer größer. Obwohl die meisten öfter leiden, als dass sie glücklich sind. So ist das bei unheilbaren Krankheiten.

In diesen Wochen reiben sich die deutschen Fußballfans zudem des Öfteren verwundert die Augen. Vorbei sind die Zeiten, in denen man die Weltstars des runden Leders nur zu sehen bekam, wenn man im Bezahlfernsehen die Spiele der englischen Premier League oder der spanischen Primera Division verfolgte. Die Bundesliga scheint attraktiv wie nie. Auch Ballack ist zurück. "Der deutsche Fußball lebt!", jubelt "Sport-Bild". "Die neuen Stars der Boom-Liga", titelte die "Frankfurter Rundschau". Wie zum Beweis des Vordringens in eine neue Dimension kommt es zum Saisonauftakt morgen in Hamburg beim Spiel HSV gegen Schalke zum "Duell der Königs-Knipser" ("Bild").

"Ich sage es doch seit Jahren: Wir dürfen unsere Liga nicht schlechter machen, als sie ist", sagt Leverkusens Manager Rudi Völler, der die Rückholaktion mit Michael Ballack von Chelsea London zu Bayer in die Pillenstadt klammheimlich eingefädelt hatte. Völler macht das nicht nur an neuen Superstars wie Raúl fest, sondern nennt als Beispiel die Entscheidung des 21-jährigen dänischen Riesentalents Simon Kjaer - für die Bundesliga und gegen Italien. "Dass die Wolfsburger den Dänen Kjaer kriegen und sich gegen die Konkurrenz aus Italien durchsetzen, spricht doch eine klare Sprache." Die Wolfsburger im Übrigen, die mit Steve McClaren den ersten englischen Trainer der ersten Liga verpflichtet haben.

Dass die Liga aber nicht nur gefühlt boomt, lässt sich leicht belegen: Nie war es schwieriger, an Tickets für die Spiele zu kommen, als in dieser Saison. Vor dem heutigen Start in die neue Spielzeit haben die 18 Bundesligaklubs mehr als 460 000 Dauerkarten verkauft - so viele wie nie zuvor. Bei zwölf Erstligisten ging schon vor einer Woche nichts mehr, sie stellten den Verkauf ein, weil das Kontingent erreicht war. Zuschauer-Magnet Nummer eins ist wie immer Borussia Dortmund. Die Westfalen erhöhten das Kontingent noch einmal um 1000 auf 52 000 Tickets und steuern einem historischen Rekordwert entgegen.

Da kommt bei den Verantwortlichen auch keinerlei Besorgnis auf, wenn einer der wichtigsten Geschäftspartner in arge wirtschaftliche Turbulenzen gerät. Dass dem langjährigen TV-Partner Sky das Wasser bis zum Hals steht, scheint die Deutsche Fußball Liga (DFL) nicht wirklich zu beunruhigen. Hauptgesellschafter Rupert Murdoch hat dem börsennotierten Sender jetzt noch einmal 340 Millionen Euro frisches Kapital zukommen lassen. "Ich habe Murdoch beim Champions- League-Finale gesprochen", erzählte Reinhard Rauball der "Bild am Sonntag". "Er hat den Eindruck vermittelt, dass er mit Sky in absehbarer Zeit Gewinne machen und das Unternehmen ausbauen will." Angst, dass die Liga die vertraglich vereinbarten 240 Millionen Euro pro Saison von Sky nicht mehr bekommt, treibt den DFL-Präsidenten nicht um. "Wir halten uns an Verträge und gehen umgekehrt davon aus, dass sich auch unser Partner daran hält."

Die Party will man sich nicht verderben lassen. Außerdem sind die Sky-Millionen über Bürgschaften abgesichert. Und schließlich sind "bislang alle Rechnungen pünktlich bezahlt worden", sagt Rauball.

Überhaupt dominiert in der Ball-Branche der Optimismus beim Blick nach vorn. Die Klubs sind insgesamt mit rund 500 Millionen Euro verschuldet. Nachdem die weltweite Wirtschaftskrise auch die Bundesliga getroffen hat - 44 Prozent der Klubs haben in der abgelaufenen Saison rote Zahlen geschrieben -, erwarten die Fußballmanager jetzt eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage. Laut einer Befragung der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Ernst & Young gehen 24 Prozent von einer deutlichen und 52 Prozent von einer leichten Verbesserung aus. "Die Stimmung hat sich komplett gedreht", sagt Thomas Fuggenthaler. Der Autor der Studie, an der sich 34 von 36 Klubs beteiligt haben, sagt, dass sich "die Branche fast geschlossen auf bessere Zeiten einstellt". Und dazu hätte sie auch allen Grund: "Die Wirtschaft schaltet wieder auf Wachstum, Sportsponsorings sind wieder gefragt - und da ist und bleibt die Bundesliga die erste Wahl." Dazu passt, dass 38 Prozent der Befragten mit steigenden Sponsoring-Einnahmen (Bandenwerbung, Trikotwerbung, Namensrechte) rechnen, nur 18 Prozent erwarten einen Rückgang der Einnahmen in diesem Bereich.

Vielleicht sollten die Manager zum Start in die 48. Saison auch eine kleine Dankadresse an Bundestrainer Joachim Löw nach Hause schicken. Denn unstrittig ist, dass der WM-Auftritt der jungen Wilden um Schweinsteiger, Müller und Boateng in Südafrika die Attraktivität des deutschen Fußballs ganz mächtig erhöht hat. "Ballspiel als Lustspiel, leidenschaftlich, packend, prickelnd, voller Fantasie. Und wir dachten, unsere würden kicken wie Stimmungstöter, die vor dem Sex das Licht ausschalten", schreibt der Autor Oskar Beck. "umso tiefer sind wir jetzt bewegt, und es tritt Wilhelm Busch in Kraft: 'Ein jeder Wunsch, wenn er erfüllt, kriegt augenblicklich Junge.'" Denn das ist klar: Nichts wünschen sich die Fans für die neue Spielzeit lieber als eine nahtlose Fortsetzung des löw-enmutigen und rasanten Offensivfußballs.

"Dank der extrem starken Leistung der Nationalmannschaft hinterlässt der deutsche Fußball weltweit einen beachtlichen Fußabdruck", sagt Christian Seifert, der Geschäftsführer der DFL. Im Viertelfinale sei die Liga zahlenmäßig mit mehr Profis als jede andere der Welt vertreten gewesen, wodurch sie jetzt "einen starken Schub" erhalte und "das globale Interesse" steigere.

Wie zum Beweis des neuen Interesses sind mit Özil und Khedira (zu Real Madrid) sowie Jerome Boateng (zu Manchester City) mit einem Mal auch wieder drei DFB-Kicker von ausländischen Topvereinen verpflichtet worden. Was durchaus als Zeichen der gesteigerten Wertschätzung anzusehen ist. Die im Übrigen mit Fakten belegt werden kann: Nachdem bei der WM 2006 keiner der internationalen Topstars in der Bundesliga spielte, ist die Südafrika-Bilanz der Nationalspieler beachtlich: Thomas Müller wurde als bester Jungspieler und Torschützenkönig ausgezeichnet. Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger wurden in das "All Star Team" der WM 2010 gewählt. Und Mesut Özil sowie Schweinsteiger zählten zu den zehn Nominierten für die Auszeichnung zum besten WM-Spieler, die schließlich an den Uruguayer Diego Forlan ging.

Bastian Schweinsteiger ist mittlerweile einer von vielen Experten, die eine Zuwanderung weiterer ausländischer Ballartisten nach Deutschland prognostizieren. "Ich glaube, dass in Zukunft die großen Spieler nach Deutschland kommen werden", sagt der Bayern-Spieler. "Wir haben in der Bundesliga an Qualität gewonnen. Man braucht nicht zu einem ausländischen Verein zu gehen, um ein großer Spieler zu werden."

Was der Liga, neben dem Ruf, ein verlässlicher Arbeitgeber mit pünktlichen Gehaltszahlungen zu sein, außerdem in die Karten spielt, sind zwei geplante Gesetzesänderungen. Zum einen sieht das neue Klublizenzierungsverfahren der Uefa eine sogenannte "Break-even-Regel" vor. Was bedeutet, dass die Ausgaben für den "typischen Betrieb" eines Klubs durch die Einnahmen aus dem "typischen Betrieb" finanziert werden müssen. Die Finanzierung eines Superstars aus der Privatschatulle eines Präsidenten - vorbei.

Und zum Zweiten fallen in Spanien und England Steuervorteile für ausländische Profis weg. In Spanien wurden Ballartisten pauschal bisher mit 24 statt 43 Prozent besteuert. Dieses gilt künftig nur noch für Kicker, die nicht mehr als 600 000 Euro im Jahr verdienen.

Wir wissen nicht, ob das vielleicht auch Ruud van Nistelrooy bewogen hat, von Madrid an die Elbe zu wechseln. Und natürlich mag man einwenden, dass die wirklichen Top-Stars des Weltfußballs wie van Nistelrooy, 34, und Raúl, 33, erst im Herbst ihrer Karriere in den hochmodernen Bundesliga-Arenen zu bewundern sind.

Andererseits gibt es keine Garantie, dass jüngere Kicker aus dem Ausland die Liga länger verzaubern. Als Zézé 1964 mit dem Bananendampfer in Köln einschipperte, war er 21 Jahre alt. Er absolvierte fünf Spiele und blieb ohne Torerfolg. Nach einem halben Jahr war der Brasilianer wieder weg. Ein Arzt hatte ihm eine "Schnee-Allergie" attestiert.