Abendblatt-Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher schreibt jede Woche über einen außergewöhnlichen Fall.

Da kauert sie auf dem Boden, den Rücken gebeugt, den Kopf in den Händen vergraben, kraftlos. Ein Häuflein Elend. "Geht's Ihnen nicht gut?", fragt die Amtsrichterin besorgt, als sie auf dem Flur vor ihrem Gerichtssaal die Angeklagte als Bild des Jammers sieht. Doch es ist wahrlich keine Krankheit, die Jasmin D. so kläglich erscheinen lässt. Es ist die nackte Angst. "Ich habe nur Sorge, dass der Kerl hier auftaucht", haucht die 30-Jährige mit tränenerstickter Stimme.

"Der Kerl", das ist ihr früherer Lebensgefährte. Der Mann, der ihr eine Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung eingebracht hat. Ein Mann, den sie laut Staatsanwaltschaft im Zuge eines Streits mit einem Steakmesser verletzt haben soll, ein Stich in den Oberschenkel und zwei Schnittverletzungen am Kopf. Ein Opfer also. Doch tatsächlich scheint der 38-Jährige wie ein düsterer Schatten über ihrem Leben zu liegen, eine Bedrohung. Ein Mensch, der die Lebensfreude der jungen Frau erstickt, der sie lähmt.

Jahre hat Jasmin D. mit Christian K. verbracht. Es mag auch schöne Zeiten in der Beziehung gegeben haben. Irgendwann einmal. Doch vor allem sei da Streit gewesen, Alkoholkonsum und auch Gewalt. Ein Leben am Abgrund. "Meistens ging es bei den Auseinandersetzungen um Eifersucht", erzählt Jasmin D. So auch am 4. Februar dieses Jahres, ein Tag, der scheinbar harmonisch begann und im Desaster endete.

Sie hatten wieder einmal dem Alkohol zugesprochen, beide, sagt die Angeklagte, die ihr Haar zu einem strengen Zopf geflochten hat und auf nackten Sohlen zur Gerichtsverhandlung gekommen ist. "Und wir wollten eigentlich zusammen Abendbrot essen, ich war am Schnippeln, es war eigentlich alles ganz flauschig." Plötzlich habe Christian K. sie zu Boden gerempelt, "und da saß er dann auf mir drauf und würgte mich. Ich habe Sternchen gesehen und hatte einfach nur noch Todesangst." In ihrer Panik habe sie das Erste gegriffen, was sie in die Finger bekam, und mit dem Steakmesser zugestochen. "Es hätte auch der Kochtopf sein können, mit dem ich zuschlage." Dann habe sie ihren damaligen Freund aus der Wohnung gezerrt "und nur noch gehofft, dass er die Tür nicht eintritt und endlich Ruhe ist".

Einfach nur Ruhe. Das sei eigentlich alles gewesen, was sie wollte. Harmonie in ihrem Leben. Und, ganz wörtlich, kein Geschrei. Sie habe stets große Sorge gehabt, erzählt Jasmin D. vor Gericht , sie könne ihre Wohnung verlieren, wenn die Auseinandersetzungen eskalieren und zu laut werden. "Deshalb habe ich oft einfach stillgehalten und mich von ihm verprügeln lassen. Als ich mein Bein im Gips hatte, hat er mir sogar die Krücken weggehauen." Und zwei- oder dreimal habe ihr Ex-Freund ihr schon die Nase gebrochen. Tatsächlich ist Christian K. bereits dreimal wegen Körperverletzung verurteilt worden, alle drei Male war die 30-Jährige das Opfer. Ein Opfer, das jetzt, dieses eine Mal, nicht mehr stillhielt und sich mit dem Steakmesser verteidigte? Das in Notwehr handelte?

Fotos in der Akte haben die Verletzungen bei Christian K. dokumentiert. Entscheidend wird es jetzt auf die Aussage des 38-Jährigen ankommen. Doch der hat sich beim Gericht telefonisch krankgemeldet an diesem Verhandlungstag, ein Fortsetzungstermin muss daher festgelegt werden. Eine ungeheure Last scheint jetzt von Jasmin D. abzufallen, als sie erfährt, dass er diesmal nicht kommen wird, aufrechter wird ihre Haltung, die Stimme eine Spur munterer.

Sie hätten seit der Attacke "keinen Kontakt mehr", erzählt sie. Die Staatsanwältin wundert sich und schwenkt eine Akte. Daraus geht hervor, dass Christian K. einige Tage nach dem Vorfall seine Ex-Freundin noch einmal verletzt hat und deswegen auch verurteilt wurde. Doch das hat die Angeklagte offenbar aus ihrem Gedächtnis ausgeblendet, ein Angriff, der im Alltag von Streit und Gewalt wie im Nebel verschleiert zu sein scheint. "Kann sein, dass es noch was gab", murmelt Jasmin D. "Ich bin einfach nur froh, dass das jetzt ausgestanden ist." Sie habe einen guten Freund dabei, "der auf mich aufpasst. Ich habe bis heute Angst vor meinem Ex-Freund, weil der Typ völlig unberechenbar ist. Dem traue ich alles zu."

Doch wirklich endgültig scheint sie mit Christian K. nicht gebrochen zu haben. Sie hätten noch ein paar Mal telefoniert, erzählt sie. Sie habe seine Anrufe nur angenommen, weil seine Nummer unterdrückt war und sie nicht gewusst habe, "wer dran ist". Warum sie dann nicht gleich wieder aufgelegt habe, wundert sich die Staatsanwältin. Es kommt ein offenes Eingeständnis: "Ich habe mit ihm geredet, denn ich bin wohl zu doof und zu labil." Sie habe ihm auch zum Prozess das Ladekabel seines Handys mitgebracht, das er damals bei ihr vergessen habe, erzählt Jasmin D., und ein ungläubiges Staunen klingt in ihrer Stimme mit. Es ist wohl Verwirrung über sich selbst. "Irgendwie hatte ich doch gehofft, dass er hier auftauchen würde."