Ein Kommentar von Klaus Witzeling

Manchmal bringen einen nicht nur Künstler auf der Bühne, sondern auch Zuschauer im Theatersaal zur Weißglut. "Macht unbedingt eure Ohrstöpsel rein", ermahnt die besorgte Mama ihre Kinder vor der Premiere "Political Mother" beim Internationalen Sommerfestival Hamburg. Warum schleppt sie die drei (zu) kleinen Mädchen überhaupt mit? Ein Prinzessinnen-Ballett ist bei diesem Titel mit Sicherheit nicht zu erwarten. Das düstere Tanzspektakel beginnt mit einem Selbstmord-Bild, darauf setzt Getöse von E-Gitarren und Trommlern ein. Abgang der "Angry Mother" aus der fünften Reihe.

Cédric Andrieux ist in seinem Solo von Jérome Bel auch nicht angetreten, seine Tanzkunst möglichst makellos vorzuführen, sondern deren Kehrseiten zu enthüllen. Keine Musik, nur Atemkeuchen. Das mag manche Zuschauer peinlich berühren, die virtuoses Gespringe erwarten. Dass sie ihrem Ärger während der Vorstellung Luft machen, ist jedoch eine Zumutung für die Nachbarn. Man möchte sie zum endlichen Abfliegen auffordern, bleibt aber höflich.

Und fragt sich innerlich kochend: Wozu gibt es Programmhefte, das Internet und Zeitungsankündigungen? Sich über Veranstaltungen zu informieren erspart Enttäuschung auf beiden Seiten - und übrigens auch Geld. Außerdem: Kampnagel zeigt nur in Ausnahmefällen konventionelle Musicals oder Ballette. Experimente und neue Kunst sind Aufgabe, Profil und Reiz des Programms - und natürlich auch des Sommerfestivals.