Während Frank-Walter Steinmeier bemüht ist, in der SPD-Spitze die Reste der Agenda 2010 zu retten, versucht Sigmar Gabriel, eben diese zu kassieren.

Als Frank-Walter Steinmeier im vergangenen Herbst das Amt das SPD-Bundestagsfraktionsvorsitzenden übernahm, hieß es, das werde sich schnell erledigen. Der ehemalige Außenminister werde da schnell unter die Räder kommen. Zu gravitätisch sei er, zu wenig streitlustig und nicht durchsetzungsfähig genug, was den neuen Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel angehe.

Knapp zehn Monate später gilt Steinmeier als seriösester Teil der nach der verlorenen Bundestagswahl umgepflügten SPD-Spitze. Er ist der Mann, dem die Wähler vertrauen. Steinmeier, das sagen die Umfragen, gilt als einer, der das Parteiwohl nicht über das Staatswohl stellt.

Wie wahr das ist, kann man zur Zeit an der Rentendebatte ablesen. Während Gabriel herumposaunt, man könne die Rente mit 67 nicht vor 2012 einführen, "weil es de facto nichts anderes ist als eine Rentenkürzung", hatte in der SPD einzig Steinmeier die Courage, dem Parteivorsitzenden zu widersprechen. Es werde sehr wohl "notwendig sein, dass wir insgesamt länger arbeiten", erklärte der Mann aus Brakelsiek.

Noch wankt er nicht. Gespannt geht der Blick deshalb schon hinüber zum 22. August, an dem sich die SPD-Führung zur Klausur treffen will, um den September-Parteitag vorzubereiten. Bei dieser Gelegenheit soll auch ein Beschluss zur Rentenpolitik gefasst werden. Wie der aussehen soll, kann man daran ablesen, dass die Parteispitze für den 23. August ihren Gewerkschaftsrat einberufen hat: Die SPD wird sich von der Regelung distanzieren, die sie 2007 aus demografischen Gründen nicht nur für richtig gehalten, sondern in der großen Koalition auch mit beschlossen hat.

Während der geplante Rollback dem auf seine Glaubwürdigkeit bedachten Steinmeier Bauchschmerzen bereitet - immerhin war Steinmeier der Architekt der unter Bundeskanzler Gerhard Schröder entwickelten und heute an der SPD-Basis so verhassten, weil sozial schmerzhaften Agenda 2010-Politik -, tut sich Gabriel mit der Rolle rückwärts leicht. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit führt der Parteichef seine alte Mutter ins Feld. Die sei Krankenschwester gewesen, pflegt Gabriel dann gerührt-pathetisch zu sagen, und dass er keine Krankenschwester kenne, die mit 67 noch Patienten heben könne! Dass Menschen, die schwere körperliche Arbeit leisten, in der Regel schon vor Vollendung des 65. Lebensjahres die 45 Versicherungsjahre nachweisen können, die eine abschlagsfreie Rente sichern, unterschlägt Gabriel dabei gerne. Das passt zu einem, der irgendwie immer noch als sozialdemokratischer Leichtfuß gilt. Zu einem Berufspolitiker, der vor ein paar Jahren sogar nach dem Posten des "Beauftragten für Popkultur und Popdiskurs" griff, nachdem er in Niedersachsen als Ministerpräsident abgewählt worden war. Zu einem, der jederzeit bereit ist, sich ein Thema für eine gute Pointe etwas hinzubiegen.

Andererseits ist es nicht der dröge Steinmeier gewesen, der der Partei nach der schweren Niederlage bei der Bundestagswahl im Herbst 2009 wieder etwas Zuversicht einflößen konnte, sondern der witzig-schwungvolle Gabriel. Seit er die Partei führt, hat sich die SPD zwar inhaltlich nicht weiterentwickelt, aber immerhin ist die Stimmung besser. Dennoch ist nicht zu übersehen, dass Gabriel gut beraten wäre, sich mit seinen zuweilen sehr spontanen, um nicht zu sagen etwas populistischen Einfällen zurückzuhalten. So kam seine Idee, SPD-Sympathisanten ohne Parteibuch an Personal- und Sachentscheidungen der Partei zu beteiligen, in den Ortsvereinen gar nicht gut an.

Während der Parteivorsitzende also versucht, die Reste der Agenda 2010 zu kassieren, und der Fraktionsvorsitzende sich bemüht, eben diese zu retten, geht es Gabriel und Steinmeier gleichzeitig darum, ein Bild der Harmonie zu verbreiten. Man lasse sich "keinen Grundsatzstreit" einreden, hat Steinmeier gesagt, als der Dissens zum Thema Rente mit 67 bereits unübersehbar war. Nach dem 22. August wird man wissen, ob das nur eine diplomatische Girlande war, beziehungsweise ob Steinmeier sich der linken Mehrheit in der Parteispitze beugt.

Dass Steinmeier das Kanzleramt noch nicht aus dem Auge verloren hat, weiß man, seit er sich quasi überfallartig den Fraktionsvorsitz geschnappt hat. Dass Gabriel in der K-Frage ein Konkurrent ist, muss man einem klugen Mann wie Steinmeier nicht erklären.