Christian Pestalozza, Berliner Staats- und Verwaltungsrechtler, Buchautor und Grundgesetzkommentator.

Hamburger Abendblatt:

1. Da wollen der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Initiative "Bad Nenndorf ist bunt" für Demokratie und Toleranz und gegen Rechtsextreme auf die Straße gehen - und dann genehmigt ein Verwaltungsgericht in erster Instanz die Kundgebung der Rechten und verbietet die Gegendemo. Politiker und Gewerkschafter sind fassungslos. Zu Recht?

Christian Pestalozza:

Durchaus. Da wäre doch wohl jeder Veranstalter empört, der so eine Demonstration ins Leben ruft. Schließlich hat man nur die besten Absichten, und dann wird unterstellt, es ginge eine Gefahr von den eigenen Leuten aus. Die ginge höchstens von Linksextremen aus, die sich unter die friedlichen Demonstranten mischen.

2. Das Gericht glaubt, dass mehr Gefahr durch Linksextreme droht. Wie kommt es zu einer derartigen Bewertung?

Das sollten Sie besser das Verwaltungsgericht fragen. Ich bin selbst erstaunt, dass die Richter so entschieden haben. Vermutlich sieht das Gericht Anhaltspunkte dafür, dass DGB-ferne Kräfte bei der Demo Krawall machen könnten. Möglicherweise hat es sich bei der Gefahreneinschätzung auf ähnliche Situationen oder Demo-Konstellationen gestützt. Es wäre allerdings auch nicht das erste Mal, dass anschließend ein Oberverwaltungsgericht die erstinstanzliche Entscheidung noch kippt.

3. Hätte man es nicht bei dem ursprünglichen Verbot beider Demos belassen können?

Die Kommune hatte beide Demos untersagt, weil sie davon ausgegangen war, dass 2000 Polizisten nicht ausreichen, zwei Kundgebungen gleichzeitig in Schach halten zu können. Das Gericht hat nun entschieden, dass die Kräfte zumindest genügen, um die Rechten allein in Schach zu halten. Wir haben nun mal ein großzügiges Versammlungsrecht, das weder das rechte noch das linke Denken privilegiert, jedoch den Schnelleren begünstigt: Weil die Rechten sich zuerst angemeldet haben, ist ihre Kundgebung vom Gericht genehmigt worden.

4. Nutzt die mangelnde Polizeipräsenz künftig den Rechten?

Nein, die Gefahrenprognose hängt maßgeblich mit den örtlichen Gegebenheiten zusammen. Man kann Protestzüge trennen oder zeitlich versetzt laufen lassen. In der Regel haben, wenn rechts oder links aufeinanderprallen, die Teilnehmer daran kein Interesse.

5. Wie lassen sich vergleichbare Situationen künftig vermeiden?

Wenn man weiß, wann und in welchen Orten die Rechten aufmarschieren, könnten linke Demonstranten ihren Protestzug vor den Rechtsextremen anmelden. Dann würde das Spielchen andersherum laufen. So gesehen gilt: Wer zuerst kommt, demonstriert zuerst.

Am Freitagabend hob das OVG Lüneburg das Urteil des Verwaltungsgerichts wieder auf und erlaubte die Gegendemonstration des DGB.