Politische Kunst ist wieder angesagt: Einen Sommer lang geben Künstler im Museum für Kunst und Gewerbe Antworten auf die Frage, wie die Klimakatastrophe zu überleben sei. Nicht von ungefähr landete das Schauspielhaus unter Friedrich Schirmer mit Volker Löschs Abend "Marat, was ist aus unserer Revolution geworden", gemessen an der Zahl der Vorstellungen, am Umfang der Berichterstattung und an den Belobigungen des Betriebs (Einladung zum Theatertreffen) seinen größten Erfolg. "Preaching to the converted" ("Predigt an die Konvertierten") lautet die schöne englische Wendung für das Ritual, das dabei vollzogen wird. Noch einmal kann man vor solcher Kunst für den Fortschritt und gegen die Reaktion eintreten. Bis der Vorhang fällt oder das Museum schließt.

Nun setzt das Internationale Sommerfestival Hamburg seinen Schwerpunkt auf dem Thema "Wasser". Das ist angesichts der Tatsachen, dass der Zugang zum Wasser soeben zum Menschenrecht erklärt worden ist und wir dieser Tage im Golf von Mexiko vermutlich die größte Wasserverschmutzung aller Zeiten erleben, ebenso aktuell wie verdächtig. Steht uns hier also ein weiteres Treffen der Bekehrten bevor? Wohl kaum, denn wer ins Festivalprogramm hineinschaut, der entdeckt dort Künstler, denen ein politisches Bewusstsein nicht abzusprechen ist, die aber, um eine Unterscheidung des französischen Filmregisseurs Jean-Luc Godard zu zitieren, nicht politische Kunst machen, sondern ihre Kunst auf politische Weise. Das ist ein großer Unterschied. Er verdient Beachtung.

Da ist etwa die Hamburger Performancegruppe LIGNA, die bei diesem Festival jeweils einen Zuschauer auf ein Eiland in der Alster befördert. Ihre Arbeiten untersuchen das Verhältnis von Spielen und Betrachten, die Art und Weise, wie sich eine Gemeinschaft der Zuschauenden bildet und auflöst. Sie untersuchen also Politik dort, wo gewissermaßen deren Grundgesetze zutage treten, die Gesetze des Zusammenspielens, wie sie sich auch im Lauf eines Performance-Abends offenbaren.

Und da kommt erneut der französische Regisseur und Bildende Künstler Philippe Quesne, der mit seiner Gruppe "Vivarium Studio" im vergangenen Jahr die Bilderperformance "La Melancholie des Dragons" zeigte.

"Big Bang", seine neue Produktion, lässt die Weltgeschichte vom Urknall bis zur Mondfahrt Revue passieren und erkundet dabei nebenbei noch, wie Neues überhaupt entsteht und wann die Kreativität versiegt. Quesnes Mittel sind spielerisch, seine Performer - im Hauptberuf Musiker, Maler, Tänzer oder Schauspieler - pflegen einen unverwechselbar unspektakulären, unkünstlerischen Stil. Lakonisch und unprätentiös sind ihre Sätze, knapp ihre Gesten. Ein ganz eigenartiger, an die Filme Aki Kaurismäkis oder Jim Jarmuschs erinnernder Charme umgibt sie. Ihre Requisiten wirken allesamt wie aus dem nächsten Einkaufszentrum beschafft: Schlauchboote in verschiedenen Größen und ein Planschbecken sind in der neuen Produktion zu sehen. Doch die vermeintliche Schlichtheit ist tatsächlich einer langen, immer wieder neu ansetzenden, noch die ersten Premierenergebnisse radikal umkrempelnden künstlerischen Arbeit geschuldet.

Die politische Botschaft, so man denn von ihr hier überhaupt sprechen will, liegt dabei darin, dass einer auf einem künstlerischen Prozess beharrt, der mehr Zeit braucht, als ihm irgendein Stadttheater oder irgendein öffentlicher Förderer freiwillig zugestände, und dass er festhält an billigen Materialien, an spröden Darstellungsweisen, am eigenen Stil. Es ist ein leiser, poetischer Protest gegen den Kulturbetrieb. Der hat allerdings den Künstler soeben zum "Shooting Star" des Festivals von Avignon erklärt.

Um aber im Bild zu bleiben: Künstler wie Quesne oder LIGNA schießen nicht, sie lassen uns vielmehr ganz nebenbei darüber nachdenken, wie es inmitten einer auch im Bereich der Kunst immer schneller voranschreitenden Ökonomisierung und Kommerzialisierung möglich ist, auf einer künstlerischen Handschrift und mit ihr auf der Eröffnung anderer Sichtweisen zu bestehen, auf einem: Es kann anders sein...

Nur darum aber kann es gehen, wo Kunst politisch gemacht wird: Alle politisch gemachten Arbeiten in der Kunst gleichen sich vielleicht darin, dass sie inmitten einer immer engmaschiger reglementierten Wirklichkeit Freiräume öffnen. Sie fragen danach, was im Betrieb angesagt ist. Und erteilen dem Angesagten künstlerisch gestaltete Absagen. Das ist noch keine positive Antwort auf die großen Fragen. Aber ein Anfang.