Während in Bad Homburg die Millionäre zu Hause sind, lebt in Offenbach jeder Fünfte von Hartz IV. Die beiden Städte trennen viel mehr als nur 40 Kilometer. Ein Städtevergleich in Zeiten knapper Haushaltskassen.

Die Limousine schiebt sich im Schritttempo am Straßenrand entlang, bis sie an der Kreuzung hält. Die Scheiben sind heruntergelassen. Der Bass der Hip-Hop-Musik wummert zwischen den Häuserwänden. Aus den Polstern der schwarzen Mercedes S-Klasse heraus mustern vier Jungs die Gäste, die an diesem Abend vor der "Weiss Bar und Lounge" sitzen. Einige starren zurück. Im Auto wischt sich einer über den rasierten Schädel, auf dem dunkle Stoppeln durch die braune Kopfhaut schimmern. Als die vier im Auto genug gesehen haben, rollen sie gemächlich weiter.

Es scheint die Zeit der kleinen Gangster zu sein. Ein Donnerstagabend im Hochsommer, nicht etwa in einem dunklen Randgebiet von Berlin-Neukölln, sondern im Zentrum von Offenbach - genauer gesagt: an der Kreuzung Berliner Straße Ecke Ludwigstraße. Überall auf der Welt haben die Menschen ein mulmiges Gefühl, wenn Halbstarke mit einer Limousine scheinbar Patrouille fahren, deren Wert weit über 100 000 Euro liegt. Das ist in Offenbach nicht anders als anderswo. In einer Stadt aber, die als arm gilt, sorgt so ein Auto für Aufmerksamkeit.

Wäre Bad Homburg ein Fünf-Sterne-Hotel, dann hätte Offenbach nur drei

Keine 40 Kilometer entfernt, in Bad Homburg, wäre die Sache sonnenklar: Papa ist Banker und hat Filius den Wagen geliehen. Die Stadt ist reich, ihre Einwohner sind es auch. Im Schnitt verdient hier jeder über 28 000 Euro im Jahr - so viel wie nirgendwo sonst in Deutschland. In einigen Vierteln reiht sich Villa an Villa. Der Kurpark ist ein Idyll. Wer es geschafft hat, zieht mit der Familie vielleicht hierher, sicher aber nie nach Offenbach. Denn da verdienen die Menschen knapp 10 000 Euro weniger. Bad Homburg gibt Millionen aus, damit sich die Einwohner wohlfühlen. So viel Luxus kann sich eine arme Kommune wie Offenbach niemals leisten.

So wie Offenbach geht es vielen Städten, erst recht, nachdem die Folgen der Wirtschaftskrise auf die kommunalen Etats durchschlugen. Die Gewerbesteuereinnahmen brachen ein. Ende 2009 verbuchten die städtischen Haushalte deshalb ein Minus von 7,1 Milliarden Euro. Und im Mai schätzte Städtetagspräsidentin Petra Roth (CDU) sogar, dass der Schuldenstand auf 15 Milliarden Euro ansteigen werde. Deshalb will Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) nach der Sommerpause mit den Kommunen über eine Finanzreform verhandeln.

Wie aber lebt es sich in zwei Städten, deren Finanzlage unterschiedlicher nicht sein könnte? Michael Beseler bemüht Hotels als Analogie, um beide Orte miteinander zu vergleichen: So groß wie zwischen einem Fünf- und einem Drei-Sterne-Hotel sei der Unterschied, "natürlich aber einem gut geführten", sagt Offenbachs Stadtkämmerer. Verschmitzt lächelt er bei diesem Vergleich. In beiden Hotels gibt es saubere Zimmer und gutes Essen, will er damit sagen. Nur beim Luxus hat die Fünf-Sterne-Herberge eben die Nase vorn.

Was aber ist notwendig, und wann fängt Luxus an? "Wir haben einen Stadtbus, eine sehr gute Sportförderung, für alle kostenlose Kindergärten, bezuschusste Stadtfeste und natürlich auch den Bad-Homburg-Pass", sagt Michael Korwisi, der Oberbürgermeister von Bad Homburg. Mit dem Pass bekommen Geringverdiener vieles kostenfrei. Und das ist längst noch nicht alles. Das Mittagessen gibt's in den Kindergärten kostenlos - ganz gleich, wer Träger ist. Jeder, der den Nachwuchs in einen Kindergarten schicken will, findet auch einen. Und die Zahl der Krippenplätze liegt mit 37 Prozent bereits über der Quote, die hessische Gemeinden 2012 erreichen müssen. Die Stadt aber stockt weiter auf.

Korwisi, an diesem Tag wegen der Hitze im kurzärmeligen Hemd, ist ein offener Typ. Unumwunden gibt er zu, die Horte seien ein Problem. "Wir können nur 48 Prozent aller Kinder im entsprechenden Alter einen Platz bieten." Die Nachfrage aber sei größer, weil Mütter, die voll arbeiten und ihre Kinder zunächst im Kindergarten hatten, nun einen Hortplatz bräuchten. Natürlich soll dieser Mangel beseitigt werden. Eine Stadt, in der die meisten Bürger weit mehr verdienen als der Durchschnittsdeutsche, päppelt ihre Einwohner - auch die, die so wenig Geld haben, dass sie sich das Leben dort eigentlich nicht leisten können. "Wir haben sehr hohe Mieten", sagt Korwisi. Wer nur wenig über dem Grenzbetrag für Wohngeld verdient, bekommt daher Wohngeld von der Stadt. Selbst der Besuch im Schwimmbad kostet für Geringverdiener nur drei anstatt der üblichen sechs Euro.

Offenbach hat mit 118 000 Einwohnern doppelt so viele wie Bad Homburg. Aber trotz der Größe hat Offenbach kein Theater, kein Opernhaus. Viel zu teuer, sagen die Verantwortlichen. Wer Kultur will, soll nach Frankfurt fahren. Und wer seine Kinder hier in eine städtische Einrichtung schickt und genug verdient, muss zuzahlen. Ganz davon abgesehen, dass die Stadt längst nicht jenen, für westdeutsche Verhältnisse geradezu paradiesischen Versorgungsgrad erreicht. Vielleicht aber wollen das in Offenbach viele Menschen auch gar nicht. Denn mit fast 50 Prozent ist der Ausländeranteil so hoch wie in keiner anderen deutschen Stadt. Die Frauen hier seien ohnehin oft den ganzen Tag zu Hause.

Offenbach ist ein Problemfall. Matthias Schulze-Böing, der Leiter von MainArbeit in der Stadt, würde das zwar so nie formulieren. Trotzdem ist es nicht zu überhören, wenn er Berlin - die Pleite-Kapitale der Republik - mit Offenbach vergleicht. Seine Stadt "hat Züge von Kreuzberg", erzählt er. "Wir haben hier viel Kreativwirtschaft, die gern in der Stadt wohnt, weil die Mieten hier günstiger sind als im benachbarten Frankfurt." Kreativwirtschaft? Das sind Künstler, Werber, Leute aus dem Kulturbetrieb. Vor zwei Jahren boten die 1000 Betriebe dieser Branche gerade einmal 4000 Jobs - im Schnitt also vier Stellen pro Firma. In zehn, spätestens 15 Jahren sollen es 10 000 sein. Offenbach muss hoffen.

Von der Lederindustrie in Offenbach blieb nur ein Museum

Schon am Stadtrand von Bad Homburg sieht man den Unterschied: Ein riesiger Gebäudekomplex steht dort - das viele Glas zwischen all dem Beton glitzert in der Sonne. Es ist die Zentrale des Medizinkonzerns Fresenius Medical Care. Die Firma gehört zur deutschen Spitzenklasse. Sie ist ein DAX-Wert und international erfolgreich. Im Umfeld sitzen Finanzdienstleister. Nicht zu vergessen die Industriellenfamilie Quandt und ihre Kulturstiftung. Jeder kennt den Namen Quandt. Die Familie ist Großaktionär bei BMW. Der Volksmund übersetzt das Bad Homburger Autokennzeichen "HG" auch gern mit "Habe Geld".

Zu Offenbach fällt Im Internet-Lexikon Wikipedia vor allem auf, wie die Wirtschaftsstruktur einst war: Von der Lederindustrie blieb nur ein Museum. Und den Chemie- und Pharmakonzern Hoechst gibt es längst nicht mehr. Zwar haben Banken Serviceeinheiten hierher ausgelagert. Offenbachs Oberbürgermeister Horst Schneider weiß um die Probleme seiner Stadt: "Mit dem Verlust von kompletten Industrien wie der Lederbranche oder der Schließung großer Unternehmen im Bereich Metall in den 70er-Jahren verzeichnete Offenbach auch einen Exodus aufstiegsorientierter Menschen", sagt er. "Viele der Hilfsarbeiter aber, die die Industrie im Ausland angeworben hatte, bleiben hier." Längst nicht alle schaffen den Aufstieg via Bildung.

In Offenbach treffen sich schon zum Mittag reihenweise Männer jenseits der 40 auf den Bänken der Stadt. Es sind Menschen, von denen viele nie wieder eine Stelle finden werden. Die Arbeitslosenquote liegt bei elf Prozent. Bad Homburg kommt nicht einmal auf fünf Prozent. So sieht Vollbeschäftigung aus. Davon träumen viele Städte in Deutschland. Wer nach Bad Homburg zieht, hat schon einen Job, oft als Banker oder bei Fresenius.

Über 19 Prozent der Offenbacher sind Hartz-IV-Empfänger

Doch die hohe Arbeitlosenquote wird noch vom Anteil der Hartz-IV-Empfänger in Offenbach übertroffen. Der Anteil der Langzeitarbeitslosen liegt bei 19 Prozent. Das zieht eine Stadt nach unten. Der Hinweis auf die Kreativwirtschaft ist deshalb nicht die einzige Gemeinsamkeit mit Berlin. Einer Studie der Hertie-Stiftung zufolge bekommt auch in der Hauptstadt fast jeder Fünfte Langzeitstütze. "Es muss uns gelingen, aufstiegsorientierte Ausländer hier zu halten", wirbt Offenbachs Oberbürgermeister. Die Stadt steckt in einem Dilemma. Denn bislang ziehen nicht nur die Deutschen aus der Innenstadt weg, weil in vielen Schulklassen die Ausländerkinder in der Überzahl sind. Auch jene, deren Eltern einst zugewandert sind und die es nun geschafft haben, verlassen die Stadt.

Petro Lopez ist so einer, dem es nach der Geburt seiner Tochter nicht schnell genug gehen konnte. Vor Kurzem noch wohnte er mit seiner Frau hinterm Hauptbahnhof. Doch als die Tochter zur Welt kam, hatte der Maler die Nase voll. "Es ist gefährlich da", sagt er. "An einem Samstag, als ich zur Arbeit fuhr, lagen mehrere Drogendealer mit gefesselten Händen auf dem Gehweg." Vor allem in der Innenstadt sehe man die ständig. Deshalb sei die Polizei auch so oft im Viertel unterwegs. Seinem Kind mochte er das nicht zumuten. Genauso wenig wie die Kindergärten der Stadt. "Wegen der großen Zahl an Ausländern spricht dort doch kaum einer Deutsch", sagt er, dessen Eltern einst aus Spanien kamen. Jetzt wohnt er in Heusenstamm, keine zehn Kilometer weg auf dem Land.

Dabei gibt sich Offenbach viel Mühe. Stadtviertel werden saniert. Wo das nicht möglich ist, greift die Verwaltung zu radikalen Maßnahmen. So ließ sie den früheren Problembezirk Lohwald abreißen. Generationen von Menschen mit Sozialhilfekarrieren wohnten hier. Auch der Musiker und spätere "DSDS"-Gewinner Mark Medlock. Heute sieht die Stadt besser aus als noch vor ein paar Jahren. Und trotzdem klaffen zwischen Offenbach und Bad Homburg Welten. Die reiche Stadt wirbt mit dem Slogan "Champagnerluft und Tradition" für sich. In Offenbach freuen sich viele, wenn es für das zweite Bier langt.

Der Haushalt beider Städte ist ein Spiegelbild dieser Lage. Allein in diesem Jahr wird das Saldo zwischen Einnahmen und Ausgaben bei minus 65 Millionen Euro liegen. Selbst wenn Stadtkämmerer Beseler jene zehn Millionen Euro streicht, die Offenbach für freiwillige Leistungen ausgibt, kann er das Loch nicht stopfen. Eine Zeitreihe spricht Bände. Bis auf vier Jahre hat die Stadt seit 1992 immer ein Defizit gehabt. Außerdem waren die Verluste oft viel größer als die Überschüsse in guten Jahren. Inzwischen addieren sich die Schulden der Stadt deshalb auf 468,4 Millionen Euro. Weil das wenige Geld, das da ist, für jene Sozialmaßnahmen ausgegeben werden muss, die Politiker in Berlin beschlossen haben, bleibt nichts übrig.

Dabei müsste Offenbach mehr investieren, um zu Bad Homburg aufzuschließen. Nur reichen dafür die Mittel nicht. Deshalb wird die Stadt für die Wirtschaft auch nicht attraktiver. Und das wiederum sorgt für geringere Steuereinnahmen sowie höhere Sozialausgaben für Offenbachs Arbeitslose. Es ist ein Teufelskreis, in dem sich viele arme Kommunen bewegen.

Bad Homburg ist wie ein Perpetuum mobile, immer mehr Geld kommt rein

Im Vergleich dazu hat Bad Homburgs Oberbürgermeister Luxusprobleme. Er muss zwar in diesem Jahr auch sparen, weil die Gewerbesteuereinnahmen wegen der Krise eingebrochen sind. "Aber Bad Homburg ist eine konservative Stadt", sagt Korwisi. Besondere Brennpunkte gebe es hier einfach nicht.

Die Stadt scheint eine Art Perpetuum mobile zu sein. Weil alles schön aufgeräumt und geordnet ist, siedeln sich Firmen samt Mitarbeitern hier an. Die wiederum bringen das nötige Geld mit, das Korwisi braucht, um Bad Homburg weite aufzupeppen. Eigentlich kann da gar nichts schiefgehen - zumindest so lange nicht, wie sich die Einflugschneise des Frankfurter Flughafens mit ihrem Lärm eben nicht über Bad Homburg, sondern über Offenbach zieht.