Drei Hamburger Apotheker gründen eine Fabrik in Jenfeld. Sie investieren zehn Millionen Euro und schaffen mehr als 100 Arbeitsplätze.

Hamburg. Wenn die Mitarbeiterinnen bei ZytoService mal die Spritze aus der Hand legen und in die Kantine gehen wollen, haben sie eine ziemliche Tortur vor sich. Das An- und Ausziehen ihrer blauen Schutzkleidung, drei Hüllen Kunststoff von Kopf bis Fuß, dauert 20 Minuten. Jeder Handgriff muss sitzen, sonst könnte irgendwo ein Bakterium durchrutschen. Wenn nur ein winziger Partikel in ihrem Arbeitsraum auftaucht, leuchtet sofort die rote Alarmlampe an der Decke, die Produktion wird gestoppt und auf dem Kontrollschirm der Qualitätschefin blinkt der Arbeitsplatz auf, an dem der noch nicht einmal staubkorngroße Störenfried aufgetaucht ist. Sofort kommt die Lüftungsanlage zum Einsatz, die den Partikel aus dem Raum heraussaugen muss, bevor es weitergehen kann. Sie wurde auch schon in der Produktion von Schweinegrippeimpfungen bei GlaxoSmithKline verbaut und beschert ZytoService eine Stromrechnung von 30.000 Euro im Monat.

Pro Tag werden bis zu 1000 Beutel mit Lösungen für Chemotherapien gefüllt

Bei ZytoService werden in diesen Reinräumen der schärfsten Sicherheitskategorie Chemotherapien hergestellt. Bis zu 1000 Beutel pro Tag, individuell dosiert. Sie werden auf Bestellung von Ärzten und Krankenhäusern über Nacht geliefert, um bei Krebspatienten in ganz Deutschland das Tumorwachstum zu bremsen. 30 Prozent der Kunden sind Krankenhäuser, die die Medikamente nur selten noch selber herstellen. Der Löwenanteil von 70 Prozent geht an Onkologiepraxen.

Die Produktion der ZytoService, die vor wenigen Monaten angelaufen ist, ist nach Angaben der Geschäftsführung die mit Abstand größte Anlage in Europa. Thomas D. Boner, Thomas Hintz und Enno Scheel, drei Apotheker aus Hamburg, haben die Investition von mehr als zehn Millionen Euro in ihre Fabrik in Jenfeld gewagt, die neben Chemotherapien auch Lösungen für die intravenöse Ernährung herstellt, um auf das steigende Kostenbewusstsein im Gesundheitswesen zu reagieren. "Früher haben wir die Präparate in den Apotheken hergestellt", erinnert sich Thomas D. Boner. Inzwischen sei gerade bei den Krankenhäusern der Preisdruck so hoch, dass sich in Zukunft nur noch die Massenproduktion lohnen werde. Dabei spricht man bei Chemotherapien immerhin von Preisen zwischen 100 bis 12 000 Euro pro Dosis.

Der Umsatz liegt bei 200 Millionen Euro, die Ertragslage ist "gut"

Die Hamburger haben in den vergangenen Monaten rund 100 neue Arbeitsplätze geschaffen und beschäftigen in der Fabrik, in ihren drei Apotheken in der Hansestadt (Bären-, Lerchenfeld- und Oster-Apotheke) und in einem Logistikzentrum zur Versorgung von Krankenhäusern inzwischen 250 Mitarbeiter. Der Umsatz liegt bei 200 Millionen Euro, die Ertragslage sei gut, sagen die Unternehmer. "Wir sind in der Pharmabranche Exoten in Hamburg", ergänzt Enno Scheel und hat dabei die Hochburgen dieser Industrie im Blick, die im Rhein-Main-Gebiet oder im Münchner Raum zu finden sind. Allerdings habe die Stadt mit ihrer guten Infrastruktur den Unternehmern bei der Ansiedlung der Produktion sehr geholfen, wenn auch nicht finanziell.

Dabei war die Branche der Chemotherapiehersteller, die im Wesentlichen von Apotheken geprägt ist, zwischenzeitlich in Verruf geraten. In den vergangenen Monaten waren Dutzende von Apothekern ins Visier der Staatsanwaltschaft geraten, die Bestandteile für Krebsmedikamente sehr günstig im Ausland gekauft und an Krebskranke geliefert hatten. Die Präparate sollen zum Teil wirkungslos gewesen und mit schwindelerregenden Gewinnmargen verkauft worden sein. In Hamburg ist ein solcher Fall allerdings nicht bekannt geworden. Hier stellen über ZytoService hinaus noch eine Handvoll Apotheken selber Chemotherapien her.

Ein vereinheitlichtes Heilungsverfahren würde weiteres Wachstum bringen

"Wir verwenden ausschließlich in Deutschland zugelassene Fertigarzneimittel, deren Lieferanten wir ständig überprüfen", sagte Thomas D. Boner. Die ZytoService setzt sich zudem für ein vereinheitlichtes Herstellungsverfahren für Chemotherapien ein, das sich nach dem strengen internationalen Standard GMP (Good Manufacturing Practice) richten soll. Eine solche Standardisierung wird in Deutschland bereits politisch diskutiert und würde der ZytoService vermutlich einen zusätzlichen Wachstumsschub versprechen. Denn die große Masse ihrer Konkurrenten - also die Apotheken - werden die hohen Anforderungen dieses Produktionsverfahrens wohl kaum einhalten können, heißt es in der Branche.