Jörg Feddern ist Diplombiologe und Energieexperte bei Greenpeace.

Hamburger Abendblatt:

1. Vor Dalian im Nordosten Chinas ereignet sich zurzeit die größte Ölkatastrophe in der Geschichte der Volksrepublik. Warum bekommt man davon nur einen Bruchteil dessen mit, was über die Ölpest im Golf von Mexiko bekannt wurde?

Jörg Feddern:

Der Hauptgrund ist sicherlich, dass der Zugang für die Medien in China ein ganz anderer ist als der im Westen. Informationen werden in China immer gefiltert, eine Presse- und Meinungsfreiheit gibt es nicht. Das merkt man auch im Widerhall des Unglücks in den chinesischen Medien, der lange nicht so stark ist, wie er es nach der Explosion der "Deepwater Horizon" in den Vereinigten Staaten war.

2. Kann das auch daran liegen, dass es sich bei der betroffenen China National Petroleum Corporation (CNPC) um ein staatliches Unternehmen handelt?

Ganz klar. Staatliche Unternehmen werden in China nur mit Samthandschuhen angefasst. Zudem will man den Wirtschaftswachstum des Landes auf keinen Fall behindern.

3. Kommt nach Ihrer Ansicht bei diesem Wirtschaftsboom das Thema Sicherheit in China überhaupt noch hinterher?

Nein, gar nicht. Um dem Energiehunger gerecht zu werden, leidet in China nicht nur die Sicherheit, sondern auch die Ausrüstung und der Umgang mit den Menschen. Da schöpfen Fischer das Öl mit bloßen Händen ab - und niemand sagt ihnen, dass es sich um einen hochtoxischen Stoff handelt. Unsere Mitarbeiter haben vor Ort erst einmal 300 Atemschutzmasken verteilt, denn das hatte sonst noch niemand getan.

4. Inwieweit können Sie und andere nicht staatliche, internationale Organisationen überhaupt in China arbeiten und etwas erreichen?

Wir sind seit 1997 in China vertreten, mit mittlerweile drei Büros. Die Arbeit ist anders als in Deutschland, weil unliebsame Stimmen schnell zur Ruhe gebracht werden. Bisher konnten wir aber verhindern, dass die Büros geschlossen werden. In Dalian konnten wir bisher ungestört agieren: Wir haben zum Beispiel den Meeresbiologen Rick Steiner eingeladen, für uns Untersuchungen dort vorzunehmen. Steiner hat schon nach dem Untergang der "Exxon Valdez" 1989 Abschätzungen zur ausgelaufenen Ölmenge gemacht.

5. Immer wieder große Grubenunglücke, auslaufendes Öl - was muss sich in Chinas Energiepolitik dringend ändern?

Wir fordern von China ganz klar eine Aufklärung über den Zustand der Ölindustrie. Gibt es Notfallpläne? Generell fordern wir die Volksrepublik auf, sich von der Nutzung fossiler Energiequellen abzuwenden. Und wir plädieren für die Einführung von internationalen Sicherheitsstandards in der Energiewirtschaft - an die sich China genauso halten müsste wie die USA.