Monatelang haben Bürger in Nordrhein-Westfalen in einer Kleinstadt ein Wohnhaus belagert. Jetzt droht in Hamburg eine Wiederholung. Es geht um freigelassene Sexualtäter, die gerade dort bei Verwandten untergekommen sind. Die Menschen haben Angst vor Wiederholungstaten und fordern zu ihrem Schutz ein Eingreifen der Politik. Die Angst ist nachvollziehbar und ernstzunehmen.

In den nächsten Monaten werden in Deutschland etwa 80 Männer aus jahrzehntelanger Strafhaft und angeschlossener Sicherungsverwahrung entlassen. Bei einigen - nicht bei allen - liegen ernste Anhaltspunkte für eine fortdauernde Gefährlichkeit vor. Was ist also zu tun?

Zuerst hilft vielleicht ein Blick zurück. In Deutschland gab es seit der Geltung des Strafgesetzes von 1870 bis 1939 keine Sicherungsverwahrung für gefährliche Straftäter. Erst die Nazis haben sie eingeführt. Das hat den Menschen aber nicht mehr, sondern eher weniger Sicherheit gebracht.

Die Sicherungsverwahrung hat die Nazizeit überlebt und war bis Anfang 1998 auf zehn Jahre befristet. Niemandem fiel besonders auf, dass danach zu entlassende Täter vielleicht in Zukunft wieder Straftaten begehen könnten. Die damalige schwarz-gelbe Kohl-Regierung hat die Zehnjahresgrenze aus dem Gesetz gestrichen, ohne die Übergangsfälle zu bedenken, und hat damit das Problem geschaffen, mit dem die jetzige schwarz-gelbe Merkel-Regierung nicht umzugehen weiß. Sie ist auch hier völlig zerstritten und handlungsunfähig.

Deutschland ist stolz darauf, vor 60 Jahren als eines der ersten europäischen Staaten die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten anerkannt und unterschrieben zu haben. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der über die Einhaltung der Konvention wacht, hat jetzt entschieden, dass die etwa 80 Männer, die zur Sicherungsverwahrung verurteilt wurden, als diese nur zehn Jahre betrug, freizulassen sind. Ihre weitere Freiheitsentziehung in Sicherungsverwahrung ist ein Menschenrechtverstoß. Daran müssen sich in Deutschland alle halten, die Gefängnisleitungen, die Gerichte und auch die Politik. Wer, wie der bayerische Innenminister Herrmann, zum offenen Konventionsbruch auffordert, stellt sich selbst ins Abseits.

Was also ist zu tun? Die Polizei muss vor Ort, je nach der konkreten Gefahrenlage, durch Beobachtung, aktives Aufsuchen, Zeigen von Präsenz, deutlich zum Ausdruck bringen, dass sie etwaigen Gefahren vorzubeugen in der Lage ist. Das mindert die mögliche Gefahr, sie kann sie aber nicht vollständig bannen. Wir müssen begreifen und akzeptieren, dass es in keiner Gesellschaft absolute Sicherheit gibt. Wer den Menschen eine solche verspricht, ist ein verantwortungsloser Scharlatan.

Wer aus der Sicherungsverwahrung in Freiheit kommt, wird der Führungsaufsicht unterstellt. Er muss Auflagen erfüllen, muss sich - notfalls täglich - bei seinem Bewährungshelfer melden, muss bestimmte Orte wie Kindergärten oder Kinderspielplätze meiden, muss Arbeit annehmen und sich bei Ärzten oder Psychologen vorstellen. Die Führungsaufsicht ist effektiv und kann noch effektiver gemacht werden. Aber auch hier gilt: Es kann keine absolute Sicherheit geben.

Nicht durchdacht und nur propagandistisch ist die Forderung nach einer elektronischen Fußfessel für alle Freizulassenden. Sicher könnte die Polizei damit jederzeit und lückenlos den Aufenthalt dieser Personen feststellen. Aber darin liegt ja gerade das Problem. Denn eine solche Rundumbeobachtung ist eindeutig verfassungswidrig. Und zur Überwachung zulässiger Auflagen ist die elektronische Fußfessel technisch nicht geeignet. Es gibt weder eine vollständige digitale Erfassung aller Kinderspielplätze, aller Kinderkrippen, aller Kindergärten. Noch ist es sinnvoll, dass der Alarm jedes Mal anspringt, wenn ein Betroffener durch die Stadt Hamburg spaziert und sich - ohne es selbst zu wissen - dabei einem Kindergarten nähert.

Wir werden mit der Herausforderung sicher fertig werden, die die notwendige Entlassung einiger Dutzend Sicherungsverwahrter mit sich bringt. Dazu brauchen wir keine hysterische Berichterstattung in den Medien, keine populistischen Vorschläge konservativer Rechts- und Innenpolitiker und vor allem keine lynchähnlichen Situationen vor Ort, da wo die Entlassenen wohnen. Und es darf auch nicht unterschlagen werden: In Deutschland sinkt die Zahl der Kapitalverbrechen seit langer Zeit. Wir leben in einem alles in allem sicheren Land.