Oliver Moldenhauer, Aids-Experte der “Ärzte ohne Grenzen“ und Teilnehmer der Konferenz in Wien.

Hamburger Abendblatt:

1. 20 000 Wissenschaftler, Politiker und Aktivisten haben eine Woche lang in Wien über den Kampf gegen Aids debattiert. Was bringen diese riesigen Konferenzen?

Oliver Moldenhauer:

Sie schaffen Aufmerksamkeit für das Problem HIV/Aids. Vor dem Treffen in Wien war die Debatte um das Thema sehr still geworden. Das konnten die Aktivisten ändern und ihre Forderungen an die Politik lautstark vorbringen. Natürlich wurde auch viel Geld für die Tagung ausgegeben. Ein bisschen mehr Bescheidenheit hätte ich mir gewünscht.

2. Der Ökonom und Chef des Milleniumprojekts der Vereinten Nationen, Jeffrey Sachs, wirft der deutschen Regierung vor, sie spare auf Kosten der Ärmsten. Stimmt das?

Wenn bestimmte Ideen aus dem Entwicklungsministerium Realität werden, trifft das definitiv zu. Mit dem Geld, das offenbar eingespart werden soll, könnten eine Million Menschen mit HIV/Aids ein Jahr lang behandelt werden. Es wäre fatal, hier die Axt anzusetzen. Denn noch nie waren die Medikamente so effektiv wie heute - nur ausreichend Geld fehlt noch. Wer jetzt spart, handelt völlig unverantwortlich.

3. Wer ist Schuld, dass zehn Millionen HIV-Infizierte nicht die nötigen Medikamente bekommen?

Drei Akteure sind schuld daran: Erstens sind die Gelder der Industriestaaten zu gering, um in Afrika flächendeckend Medikamente gegen Aids bereitzustellen. Zweitens ist der Wille vieler Staaten in Afrika, Osteuropa oder Zentralasien zur Bekämpfung der Krankheit nicht groß genug. Oft wird Aids noch immer tabuisiert. Und drittens versucht die Pharmaindustrie ihre patentbasierten Monopole auf Therapien aufrechtzuerhalten und hält so die Preise hoch.

4. In Osteuropa haben sich die Infektionen mit HIV seit 2001 verdoppelt. Verschläft Osteuropa den Kampf gegen die Pandemie?

Die Gefahr ist da. Gerade in Osteuropa ist die Infektionsrate am höchsten bei den Menschen, die sowieso stark gesellschaftlich stigmatisiert sind. Drogenabhängige oder Prostituierte etwa. Das hemmt den Kampf gegen Aids. Dafür gibt es vor allem zwei Gründe: Diese Gruppen werden politisch nicht wichtig genommen. Und ihre Kriminalisierung erschwert Aufklärung und Behandlung.

5. Stellen Sie sich vor, wir sind kurz vor der Welt-Aids-Konferenz des Jahres 2050. Wo steht die Gesellschaft im Kampf gegen die Immunschwächekrankheit?

2050 haben wir keine neu infizierten Kinder mehr. Den Kampf werden wir weltweit gewinnen, so wie jetzt schon in Deutschland. Zudem werden die Betroffenen in 40 Jahren über 50 Jahre alt sein. Wer Aids hat, wird bei entsprechender Behandlung trotzdem lange leben.