Wann ein Rücktritt zum Triumph, wann er zum Debakel wird, formulierte ein spanischer Denker schon vor 400 Jahren: “Nicht abwarten, dass man eine untergehende Sonne sei“

Ein guter Abgang ziert die Übung, schreibt Friedrich Schiller. Selten sind in Deutschland so viele Frauen und Männer von ihren öffentlichen Ämtern zurückgetreten wie in den vergangenen zwölf Monaten. Die Resonanz darauf war unterschiedlich, manchmal überraschend.

Warum wurde die evangelische Bischöfin Margot Käßmann für ihren Rücktritt bejubelt und tritt inzwischen wieder öffentlich auf, obwohl sie betrunken Auto gefahren war? Warum wird Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust, der sich nichts hat zuschulden kommen lassen, so heftig kritisiert? Warum erntet dagegen sein hessischer Kollege Roland Koch, der noch drei Jahre jünger ist als Beust, Respekt und Anerkennung? Und was kann DFB-Präsident Theo Zwanziger, der in dieser Woche mehrfach über seine Amtsmüdigkeit redete, aus den Beispielen lernen?

Aller Rücktritt ist schwer. Selbst der Amtswechsel nach einer Beförderung und der politische Rückzug nach einer Wahlniederlage haben ihre Tücken. Die CDU-Ministerpräsidenten Wulff, Oettinger, Althaus und Rüttgers haben diesen Schritt aber ordentlich bewältigt.

Nächster Schwierigkeitsgrad ist der Rücktritt wegen politischer Fehler, wegen Affären und Skandalen. Im vergangenen Jahr ist er zweimal gelungen, einmal missraten. Bundesminister Jung zog die Konsequenzen aus dem Informationsdesaster rund um die Bombardierung eines Tanklasters in Afghanistan. Die Hamburger Bischöfin Jepsen reagierte vor einer Woche auf Vertuschungsvorwürfe in einem Missbrauchsfall. Jung und Jepsen übernahmen Verantwortung, verzichteten auf langwierige persönliche Rechtfertigung. Beider persönliche Reputation blieb unbeschädigt.

Dagegen ist der Ruf des katholischen Bischofs Mixa wohl für alle Zeit ruiniert. Er ignorierte die Zeichen der Zeit. Sein Rücktritt, von der Kirche erzwungen, kam zu spät, um noch eine heilende Wirkung zu erzielen.

Der komplizierteste Rücktritt ist der Rücktritt ohne offensichtlichen Grund und ohne Anstoß von außen. Wenn der Betroffene frei entscheidet: Es reicht jetzt! Dafür hat der spanische Denker Balthasar Gracian vor 400 Jahren die noch heute gültigen Grundsätze formuliert: "Nicht abwarten, dass man eine untergehende Sonne sei. Es ist eine Regel der Klugen, die Dinge zu verlassen, ehe sie uns verlassen. Man wisse, aus seinem Ende selbst sich einen Triumph zu bereiten." Den perfekten Rücktritt in diesem Sinne hat 1992 Außenminister Genscher vorgeführt. Nach 18 Dienstjahren, im Amt geachtet und unumstritten, hörte er von einem Tag auf den anderen auf - und ist bis heute ein politischer Star.

Von den Rückzügen des vergangenen Jahres kommt der Coup Roland Kochs diesem Vorbild am nächsten. Er hatte analysiert, dass seine lange währende politische Karriere nicht über das hessische Ministerpräsidenten-Amt hinausführen würde. Kochs erster Triumph nach der verblüffenden Rücktritts-Ankündigung: seine beifallumtoste Rede vor der Bundespräsidenten-Wahl in der Unionsfraktion.

Gegenüber Koch hat von Beust zwei Fehler gemacht: Seine Ankündigung kam nicht überraschend, sie wurde Monate vorher diskutiert und zerredet. Und er war zum Zeitpunkt des Abgangs keine politische "Sonne" im Zenit. Er stand unter Druck, wirkte wie ein Fliehender. Nur nach einem Sieg im Hamburger Volksentscheid hätte von Beust so gehen dürfen, wie er gegangen ist.

Bischöfin Käßmann stand zwar ebenfalls unter Druck. Aber ihre Anhänger, ihre Kirche wollten sie im Amt halten. Sie selbst erkannte als Erste, dass die Alkoholaffäre immer einen Schatten auf ihren Glanz als Bischöfin werfen würde. Und sie handelte blitzschnell. Triumph gesichert.

Legt man die Sätze Balthasar Gracians zugrunde, wird auch klar, warum der Rücktritt Horst Köhlers der misslungenste und schmählichste von allen ist. Die Amtszeit des Bundespräsidenten ist auf ein oder zwei mal fünf Jahre begrenzt. Die Frage nach einem geeigneten Rückzugszeitpunkt stellt sich für ihn überhaupt nicht. Er muss sein Amt bis zum Ende ausfüllen, dann ist er eh weg.

Die nächste Rücktrittsdiskussion bahnt sich in dieser Woche um DFB-Präsident Zwanziger an. Er hat angekündigt, über seinen Verbleib im Amt nachzudenken. Damit hat er, wie von Beust, das Überraschungsmoment schon verspielt. Er sollte sich jetzt ganz schnell entscheiden: jetzt gehen oder entschlossen weitermachen. Nach der gelungenen WM steht er trotz mancher Kritik noch in der Sonne seiner Erfolge, noch kann sein Rücktritt ehrenvoll sein.