Das Orang-Utan-Männchen war anfangs krank, schmächtig und konnte kaum klettern. Doch längst akzeptieren ihn die anderen als Nummer eins.

Hamburg. Was für ein hässlicher Affe. Dachten anfangs alle, als Tuan Mitte 2003 in Hamburg ankam. "Er war fast nackt, weil er als Baby Scharlach gehabt hatte", erinnert sich Tierpfleger Claus Claussen (34). Nun ist Aussehen zum Glück nur die eine Seite der Medaille (und noch dazu die eher wandelbare). Charakterlich hätte Hagenbecks Tierpark jedenfalls keinen besseren Wurf machen können - mit dem neuen Chef im Affenhaus.

Tuan, der heute elf Jahre alte Orang-Utan-Mann, war damals weit davon entfernt, der Boss im Ring zu sein. Claussen: "Das war Sinjo, unser langjähriges Männchen. Und dann waren da auch noch Ujian und Chuij." Tuan kam erst an vierter Stelle. "Er musste sich völlig unterordnen", erinnert sich Claussen. Doch das war für den per Hand aufgezogenen Affen, der aus dem Duisburger Zoo nach Hamburg kam, kein Problem. Andere Dinge stellten Tuan vor ganz andere Probleme: "Er kannte keine Äste und auch keinen Maschendrahtzaun. Das Klettern daran musste er bei uns erst lernen."

"Papa" Karl Roeske, der damalige Menschenaffenpfleger, verbrachte anfänglich täglich drei Stunden bei Tuan im Gehege. Nach und nach wurden die anderen Mitglieder der Affenbande zu ihm gelassen: Erst Bella mit ihren beiden Kindern, dann der Rest. "Durch Tuans ausgeglichene Persönlichkeit verlief die Eingliederung ohne Probleme", so Claussen. "Er hatte von Anfang an eine Sonderstellung: Ihn liebten alle." Selbst als Chefin Toba ihn einmal "einnorden" wollte, wie Claussen sagt, hätten ihn die anderen jugendlichen Orang-Utans gegen die Affendame verteidigt.

Schutz hat der einst schmächtige Affe heute nicht mehr nötig: Seine Verwandlung zum Chef ist körperlich nicht mehr zu übersehen: "Tuan hat in den letzten Monaten ein Monsterkreuz bekommen. Seine Oberarme sind dicker als meine Oberschenkel", sagt Claussen und lacht. "Und er bekommt sogar eine kleine Plauze!" Das Orang-Utan-Männchen lässt jetzt immer häufiger männliche Geräusche, ein tiefes Grunzen und Brummen aus dem Kehlsack, hören. Die tiefen Laute sind für die Einzelgänger im Freiland wichtig: Nur sie tragen weit durch das dichte Blätterdach des Regenwaldes. Und erreichen so paarungsbereite Weibchen.

Wenn sie sie noch erreichen: "Die Situation der Menschenaffen auf Sumatra und Borneo wird immer dramatischer", sagt Claussen. "Insgesamt gibt es vielleicht noch 20 000 Tiere im Freiland. Wenn die Abholzung ihres Lebensraums und die Wilderei so weiter gehen, ist es mit ihnen in sechs bis acht Jahren vorbei." Umso stolzer ist er, dass in Hagenbecks Obhut acht der bedrohten Tiere in einem intakten Familienverband, bestehend aus vier Generationen, leben. Bleibt abzuwarten, wann Tuan das erste Mal Vater wird. Claussen: "Er ist jetzt so weit." Allerdings macht dem Affenmann gerade ein Hautproblem zu schaffen, das Claussen und Zootierarzt Dr. Michael Flügger in den Griff zu bekommen versuchen. Damit Tuan bald wieder das ist, was sein Name auf malaysisch bedeutet: ein richtiger "Herr". Von wegen hässlich. Lesen Sie nächsten Mittwoch: Olli, der Kahnschnabel