Prof. Dr. Peter Selmer, 75, Jura-Professor der Universität Hamburg.

Hamburger Abendblatt:

1. Was bedeutet der Ausgang des Volksentscheids in Hamburg für diejenigen, die bei der Abstimmung verloren haben?

Peter Selmer:

Für alle, die eigentlich für die sechsjährige Grundschule waren, ist das Ergebnis ein schmerzlicher Einschnitt, auch wenn das schon absehbar war angesichts der zahlreichen Unterschriften, die den Volksentscheid erst möglich gemacht haben.

2. Die Verlierer konnten immerhin 218 065 Stimmen verbuchen. Haben die alle nicht auch ein Recht, dass ihre Forderungen politisch mit berücksichtigt werden?

In einer solch verfahrenen Situation, wie wir sie jetzt in Hamburg haben, empfiehlt es sich eher für die Politik, das Thema erst einmal ruhen zu lassen. Denn im Augenblick ist die Atmosphäre so gespannt, dass es besser ist, das Thema einer Schulreform eine gewisse Zeit zurückzustellen, mindestens aber bis zum Ende dieser Legislaturperiode. Bis dahin können sich die Gemüter erst einmal beruhigen.

3. Führen Volksentscheide bei den Unterlegenen zu mehr Politikverdrossenheit?

Politikverdrossenheit entsteht leider auch dadurch, dass sich bestimmte Interessen nicht durchsetzen lassen. Aber ich hoffe sehr, dass es bei den jetzt Unterlegenen, auch wenn diese erst einmal enttäuscht sind vom Abstimmungsergebnis, nicht zu einer Politikverdrossenheit kommt. Sie sollten jetzt vielmehr versuchen, ihre Ambitionen und Ziele in die politischen Parteien hineinzutragen. Denn die Parteien sind im Sinne unserer Verfassung nun einmal die wichtigsten Entscheidungsträger.

4. Hatten die Unterstützer der Reform eine schlechtere Ausgangslage, weil sich die Gegner schon frühzeitig organisiert hatten?

Nein, im Gegenteil. Der Bürgermeister und alle Parteien im Parlament waren ja für die Reform. Es bestand durchaus ein Gleichgewicht der Kräfte in der öffentlichen Diskussion wie auch in der Berichterstattung. Keine der beiden Seiten war letztlich in der Meinungsbildung benachteiligt.

5. Bei Volksentscheiden kann man nur dafür oder dagegen stimmen. Führt das zu simplen Parolen und undifferenzierter Politik?

Diese Gefahr sehe ich allgemein bei Volksentscheiden. Denn hier wird ein sehr komplizierter Sachverhalt gebündelt in nur einer einzigen Frage mit den Antworten Ja oder Nein. Eine differenzierte, sachgemäße Antwort ist nicht möglich. Das führt letztlich zu groben Verzerrungen. Diese zu vermeiden ist ja gerade der entscheidende Vorteil unserer repräsentativen Demokratie, in der dann die gewählten Repräsentanten entscheiden. Nach den letzten Ergebnissen bei Volksentscheiden habe ich aber den Eindruck, dass die Begeisterung für die unmittelbare Demokratie inzwischen gesunken ist.