Schwarz-Gelb vernichtend geschlagen und in der Regierung abgelöst von Rot-Grün - der Triumph von Nordrhein-Westfalen stimuliert viele Oppositionspolitiker im Bundestag. Sie können es kaum erwarten, ihn auf den Bund zu übertragen. Es gibt ja auch genügend Parallelen zwischen der politischen Entwicklung im größten Bundesland und in der Gesamtrepublik. Wie in NRW (bei der Wahl) hat Schwarz-Gelb auf Bundesebene (in den Umfragen) die Mehrheit verloren, Rot-Grün liegt klar vorn. SPD und Grüne treten einmütig und freundschaftlich auf, manchmal fast so, als hätten sie zu einer gemeinsamen Partei fusioniert.

Aber bis zur Wahl im Bund dauert es noch drei Jahre. Bis dahin wird sich zeigen, dass der Aufschwung von Rot-Grün tückisch ist. Er hat nämlich Schlagseite. Er ist fast allein ein Aufschwung der Grünen, der die SPD mit nach oben gezogen hat. In Düsseldorf haben die Grünen im Mai ihr Wahlergebnis auf 12,1 Prozent verdoppelt und damit - bei leicht sinkendem SPD-Ergebnis - den Regierungswechsel allein möglich gemacht. Im Bund hat sich die SPD in den Umfragen zwar deutlich verbessert, aber Grün steigerte sich auf sagenhafte 18 Prozent.

Auch was die Inhalte und den Rhythmus rot-grüner Politik betrifft, geben die Grünen den Ton an. Sie sind der Koch, die SPD darf kellnern. In NRW gilt die pragmatische Grünen-Chefin Löhrmann als die heimliche Ministerpräsidentin, in Berlin agieren die Grünen Künast und Trittin ausgebuffter als das SPD-Duo Gabriel/Steinmeier. Die Nominierung von Joachim Gauck zum Bundespräsidenten-Kandidaten war eine Idee der Grünen.

Da wird es wohl nicht drei Jahre so friedlich bleiben bei Rot-Grün. Wie es kracht, wenn in einer "Wunschkoalition" der größere Partner das Gefühl hat, der kleinere profitiere auf seine Kosten, können die Grünen bei CDU und FDP beobachten. Auch in der SPD wird sich irgendwann der Zorn artikulieren, dass die Grünen zu viel von der vermeintlich gemeinsamen Beute einsacken.

Eine neidische SPD - das ist das erste Risiko für einen dauerhaften Erfolg der Grünen. Das zweite Risiko ergibt sich aus der nüchternen Erkenntnis, dass es trotz aller Wahl- und Umfrage-Höhenflüge noch nicht für eine rot-grüne Mehrheit im Parlament reicht. Und Schwarz-Gelb kann kaum tiefer sinken. Das rot-grüne Experiment der Minderheitsregierung in NRW ist gefährlich und kann zu Ansehensverlusten führen, auf den Bund ist es ohnehin nicht übertragbar. Der Ausweg, trotz der Demokratie-Defizite der Linkspartei ein rot-rot-grünes Bündnis im Bund anzustreben, könnte gerade bei grünen Wählern - Risiko drei! - für Ärger sorgen.

Die Grünen kommen ja deshalb auf so hohe zweistellige Werte, weil sie neue Anhängerschichten aufgetan haben. Das erinnert an die "Neue Mitte", die 1998 der SPD mit Gerhard Schröder den Wahlsieg ermöglichte: Aufsteiger mit guter Bildung und gutem Einkommen, denen die Union unter Helmut Kohl zu fad war. Heute haben sich diese Wähler in ihren guten Lebensverhältnissen eingerichtet, sind sozial eingestellt und umweltbewusst. Und sie möchten ebenfalls nichts mit Schwarz-Gelb, wie es sich derzeit präsentiert, zu tun haben. Es gibt wieder eine "Neue Mitte", sie ist jetzt grün.

Die alten linken und ökologischen sowie die neuen bürgerlichen Anhänger gleichermaßen bei der Stange zu halten, das wird für die Grünen in den kommenden Jahren schwer genug sein. Es kann überhaupt nur funktionieren, wenn die Partei auf eigenes Profil, eigene Stärken und Eigenständigkeit in der Durchsetzung ihrer Ziele setzt. Sich an die SPD zu ketten und mit ihr unterzugehen, wenn es für Rot-Grün nicht reicht, dazu sollten sich die Grünen trotz aller politischen Gemeinsamkeiten zu schade sein. Gut, dass sie auf Länderebene neben Rot-Grün (NRW und Bremen) auch noch Schwarz-Grün (Hamburg) und Schwarz-Gelb-Grün (Saarland) ausprobieren. Nach den sechs Landtagswahlen im nächsten Jahr gibt es vielleicht noch mehr spannende Möglichkeiten. Im Stadtstaat Berlin womöglich sogar die, mit Renate Künast die erste grüne Regierungschefin zu stellen.

So weit wird es im Bund natürlich nicht kommen, aber alles andere sollte nicht ausgeschlossen sein. Die Grünen können zur bestimmenden politischen Kraft Deutschlands werden, sie können ihre Gewinne aber auch leicht wieder verspielen.