Der Verein Alsterdampfschiffahrt hat das Schiff entdeckt und aus seinem Tiefschlaf geweckt.. Es soll wieder auf Alsterwasser schippern.

Premnitz. Alle wollen "Dora" sehen. Einen solchen Auftrieb haben die Menschen in der beschaulichen brandenburgischen Kleinstadt Premnitz wohl noch nicht erlebt: An der Uferstraße, direkt an der Havel, steht ein 500-Tonnen-Kran bereit, davor ein Schwerlasttransporter. Rund 100 Schaulustige beobachten, was hier geschehen soll. Kamerateams und Fotografen sind vor Ort und richten ihre Objektive auf das Objekt der Begierde: "Dora". Der älteste Alsterdampfer Hamburgs sieht ziemlich wrackig aus. Kein Wunder bei der Geschichte, die vor 135 Jahren begann.

Gestern wurde der 1875 in der Hansestadt gebaute Dampfer, seinerzeit ein schwanenweißes Schmuckstück, das bis 1923 als Personenschiff auf der Alster schipperte, aus seinem Tiefschlaf geweckt. Auf dem Landweg startete die Fahrt für "Dora" zur Werft nach Dresden-Laubegast. Dort wird der alte Kahn für sein zweites Leben aufgepäppelt.

In den vergangenen gut 40 Jahren war das verwunschene Grundstück an der Uferstraße in Premnitz die Heimat von Deutschlands ältestem Dampfschiff. Die sowjetische Armee hatte es 1969 mithilfe eines Kettenschleppers an Land gezogen, der damalige Kapitän Wilhelm Fahlenberg hatte den Betrieb aufgegeben. In Premnitz diente der Alsterdampfer unter verschiedenen Eigentümern fortan als Vergnügungsdampfer. Er kam zwar nicht in Fahrt, aber an Bord galt das Motto: "Eine Sehfahrt, die ist lustig". Die gute alte "Dora" diente als Bordell.

Als 2005 das Rotlicht ausging, die Frauen aus Polen und Russland in andere Etablissements wechselten, war Schluss mit lustig. Das Schiff verfiel, der Rost nagte.

Das brach Matthias Kruse, dem Vorsitzenden des Hamburger Vereins Alsterdampfschiffahrt, beinahe das Herz: "Ich bin schon 1990 auf diese Rarität aufmerksam geworden und habe die ,Dora' besichtigt. Solch ein gutes Stück Hamburg kann man nicht einfach der Abwrackwerft überlassen."

Nach Kruses erstem Besuch sollten noch 20 Jahre ins Land gehen. Aber dann war es so weit. Es wurde der Beschluss gefasst: "Wir retten Dora", sagte Matthias Kruse. Das war ein Glücksmoment auch für Holger Hartmann, dem letzten Eigentümer der "Dora". Der 52-Jährige hatte die Gaststätte und später das Bordell betrieben. Der Verein war für ihn ein "Geschenk des Himmels". Warum? "Die sind mit einem Koffer voll Bargeld gekommen und haben mir viel mehr als den Schrottwert bezahlt." Von 25 000 Euro ist die Rede.

Es ist 9 Uhr, leichte Wolken sind am Himmel zu sehen. Die Temperaturen liegen um 25 Grad, es ist schwül. Die verwitterten Aufbauten der "Dora" wurden bereits abgerissen. Jetzt liegt hier nur noch ein rund 20 Meter langer und 20 Tonnen schwerer Schiffsrumpf. Dieser ist von Rost befallen, mit Moos bewachsen, die Holzplanken sind löchrig. Auf dem Deck liegen ein Anker, ein Hammer und ein vergilbter Rettungsring.

Nur noch wenige Minuten, dann kommt der Alsterdampfer an den Haken des 30 Meter hohen Krans. Alles ist geplant. Die Arbeiter verständigen sich per Funkgerät. Dann gibt Gerhard Leh von der Transportfirma dem Kranführer einen Befehl: "Zieh an!" Es gibt einen Ruck, ein Krachen - und "Dora" hängt in der Luft.

Fasziniert beobachten die rund 100 Einheimischen, wie der Alsterdampfer in 20 Metern Höhe über den Baumwipfeln schwebt. Einige der älteren Schaulustigen haben Tränen in den Augen. Sie kennen das Schiff von früher. Denn bevor es 1969 an Land gezogen wurde, fuhr die "Dora" auf der Havel. Zunächst, um Fracht zu transportieren, und dann bis Ende der 60er-Jahre als Personenschiff. In dieser Zeit war es die Attraktion in der Region, legte auch immer wieder in Premnitz an. "Die Mondscheinfahrten und Herrenausflüge waren legendär. Die Stimmung famos", sagt Rentner Jürgen Engeleiter.

Neben ihm steht sein Schwager Dieter Voß. Der 73-Jährige hat sein Haus direkt gegenüber von "Doras" langjährigem Liegeplatz an Land. Auch er erinnert sich mit einem Strahlen in den Augen an die Ausfahrten: "Ich habe an Bord Akkordeon gespielt." Gemeinsam wurden Seemannslieder von Hans Albers und Freddy Quinn gesungen: "Junge, komm bald wieder" sei damals der Renner gewesen, erzählt Voß. Er hält eine Premnitz-Chronik in der Hand. Eine Seite mit Schwarz-Weiß-Fotos ist "Dora" gewidmet.

Auch als "Dora" an Land zu einer Gaststätte umgestaltet wurde, gehörten die beiden Herren zu den Stammgästen: "Es gab panierte Schnitzel mit Pilzen und Bratkartoffeln", erinnert sich Jürgen Engeleiter.

Das Grundstück an der Uferstraße mitsamt "Dora" kaufte Holger Hartmann 1988 und betrieb zunächst das Lokal weiter: "Wir hatten immer volles Haus. Aber dann kam die Wende, und es ging bergab." Deshalb wurde "Dora" zur Videothek, aber auch das Geschäft lief nach kurzer Zeit nicht mehr: "Dann kam mir die Idee, einen Puff auf dem Schiff zu eröffnen. Wir hatten hier das St. Pauli von Premnitz", sagt Hartmann lachend.

Inzwischen hievt der Kran den Dampfer behutsam auf den Schwerlasttransporter. Nach etwa 45 Minuten ist die Mission beendet, und demVereinsvorsitzenden Matthias Kruse rinnen die Schweißperlen von der Stirn: "Jetzt beginnt für ,Dora' ein neues Leben. Wir werden wieder ein Schmuckstück aus ihr machen."

Doch bis das älteste Dampfschiff Deutschlands wieder Alsterwasser unter dem Kiel haben wird, ist es noch ein langer Weg. Auf der Werft in Dreden-Laubegast wird das Schiff zunächst vermessen, und danach sollen die Details der Restaurierung geplant werden. Die Werft hat bereits den historischen Alsterdampfer "St. Georg" aufwendig restauriert. Seit 16 Jahren wird die "St. Georg" von dem Verein für Rundfahrten auf der Alster eingesetzt. Auch "Dora" soll in ihr heimisches Revier zurückkehren. Die Kosten für die Instandsetzung schätzt Kruse auf rund 300 000 Euro. Allerdings knüpft der Verein die Restaurierung an eine Bedingung: "Wir müssen von den Hamburger Behörden vorher eine Genehmigung dafür erhalten, dass der Dampfer nach der Restaurierung auch wieder auf der Alster fahren darf", sagt Kruse.

Plötzlich taucht Rolf Zwinger auf. Der Sachverständige aus Rathenow hatte sich vor Jahren zwei Erinnerungsstücke gesichert. In den Händen hält er das Steuerrad und die Schiffsglocke der "Dora". Er überreicht sie Matthias Kruse. Und der verspricht: "Diese Originale kommen wieder an Bord."