Verantwortungsvolle Zeitgenossen verfolgen mit Sorge seit Jahren, dass Politiker gleich welcher Partei an vorletzter Stelle im Ansehen der Bevölkerung rangieren. Dies war zumindest bisher in hohem Maße ungerecht. Es handelt sich durchweg um sehr hart arbeitende, nicht selten ehrliche Menschen. Nun finden wir ein anderes Bild vor. Die politische Klasse präsentiert sich grauenvoll:

Einen schlechteren Start einer Bundesregierung als den von Schwarz-Gelb hat es in der Geschichte der Bundesrepublik wohl noch nicht gegeben. Monatelang wurden wir von der Regierung mit Diskussionen über Steuersenkungen gequält, die aufgrund der Kassenlage jeden, aber auch jeden Bezug zur Realität haben vermissen lassen. Dies wurde begleitet von einseitiger Klientelpolitik und sozial völlig unausgewogenen Sanierungsversuchen unseres Staatshaushalts.

Die Bundespräsidentenwahl lieferte einen weiteren Tiefpunkt. Die Chance, mit einem überparteilich akzeptierten Kandidaten wie z. B. Klaus Töpfer die Gemeinsamkeiten der politischen Klasse in Berlin herauszufordern und die Geschlossenheit deutscher Politik zu zeigen, hat die Bundeskanzlerin vertan. Parteipolitisches Wohlverhalten und die elegante Ausschaltung eines möglichen Konkurrenten schienen das wichtigere Ziel der Kandidatenauswahl der Koalition gewesen zu sein.

Rot-Grün hat es nicht besser gemacht! Gabriel und Künast haben ebenso taktisch wie falsch mit der Nominierung Joachim Gaucks reagiert. Ziel war es hier offensichtlich weniger, den eigenen Kandidaten durchzusetzen, als die Regierungskoalition mit einem deutlich konservativen Bewerber in ihrer Zerrissenheit vorzuführen.

Hätten SPD und Grüne einen "Bürgerpräsidenten" wählen wollen, hätten sie nicht nur aus arithmetischen, sondern vor allem aus inhaltlichen Gründen das Gespräch mit den gemäßigten Kräften der Linken suchen müssen. Diese Versuche erst vor dem dritten Wahlgang zu starten, zeigt, dass "Rot-Grün" an einer inhaltlichen Kooperation nicht interessiert war - schade!

Statt auf eine breite Kooperation aller demokratischen Kräfte zu setzen, wurden bewusst oder unbewusst die Gemäßigten bei den Linken geschwächt und die fundamentalistischen Betonköpfe gestärkt. Damit hat auch Rot-Grün eine wichtige Gelegenheit für potenzielle politische Alternativen auf absehbare Zeit verspielt. Man muss sich nicht wundern, wenn angesichts dieser Bundespräsidentenwahl das Volk, mehr und mehr angewidert von der politischen Klasse, sich von der demokratischen Mitwirkung zurückzieht.

Dabei brauchen wir die Mitwirkung der Bürger mehr denn je: Niemals zuvor sind die nationalen und internationalen Probleme so groß gewesen. Es wurde noch nicht einmal begonnen, die Ursachen der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise zu überwinden.

Die Schere zwischen Arm und Reich klafft zwischen Nord- und Südländern immer weiter auseinander, trifft aber auch die Hartz-IV-Empfänger, die Millionen Geringverdienenden in unserem Land.

Gerade jetzt brauchen wir eine aktive Friedenspolitik, die den schnellen und geordneten Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan beinhaltet, und eine Nahost-Politik, die sich neben den legitimen Sicherheitsinteressen des Staates Israel auch und genauso energisch um die Lebensbedingungen und die Würde des palästinensischen Volkes bemüht.

Eine Fiskal- und Sozialpolitik ist gefordert, die zum einen dem enormen Defizit von Bund, Ländern und Gemeinden Rechnung trägt und zum anderen sozial ausgewogen ist. Beides ist relativ einfach möglich - durch eine deutliche Erhöhung der Steuern auf Vermögen (höhere Erbschaftssteuer auf größere Privatvermögen, Schenkungssteuer, Grundsteuer, Wiedereinsetzung der Vermögenssteuer).

Zum Vergleich: Deutschland zahlt nur ein Viertel der Steuern auf Vermögen (bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt = BIP), die in anderen ebenfalls reichen Industrienationen wie USA, Japan, Großbritannien und Frankreich zurzeit erhoben werden.

Würden die Steuern auf Vermögen in Deutschland von zurzeit 0,8 Prozent des BIPs auch nur auf das europäische Durchschnittsniveau von zwei Prozent angehoben werden, würde ein Betrag von mehr als 20 Milliarden Euro jährlich in die Staatskasse fließen; dies ist ein Vielfaches dessen, was etwa eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes bringt! Auf Kürzungen bei den Sozialleistungen wie die geplante Streichung des Elterngeldes für Hartz-IV-Empfänger könnte dann zu Recht verzichtet werden. Zusammengefasst: Wir brauchen eine neue Friedenspolitik, mehr Chancengleichheit und entsprechende Steuergerechtigkeit.

Für parteipolitische Spiele, für oberflächliche Zänkereien ist keine Zeit mehr - wir brauchen wieder Wahrhaftigkeit in der Politik, denn es geht um die Menschen in unserem Land!