Der Medienwissenschaftler Prof. Stephan Weichert, 36, lehrt an der Macromedia-Hochschule Hamburg.

Hamburger Abendblatt:

1. Hat Sie die Berufung des ZDF-Moderators Steffen Seibert zum neuen Sprecher der Bundesregierung überrascht?

Stephan Weichert:

Wie viele Kollegen hielt ich die Nachricht zuerst für einen Hoax - so nennt man in der Presse Falschmeldungen und Irrläufer, die meist von Scherzbolden über das Internet gestreut werden. Nachdem diese Meldung aber über seriöse Agenturen lief, dachte ich: An solche Nachrichten werden wir uns nach der Benennung des ehemaligen Sprechers der Bundesregierung, Ulrich Wilhelm, zum Intendanten des Bayerischen Rundfunks offenbar gewöhnen müssen.

2. Was könnte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel bei dieser Berufung gedacht haben?

Da vermag ich natürlich nur zu spekulieren, aber ich könnte mir vorstellen, dass Frau Merkel Herrn Seibert aus verschiedenen Begegnungen bereits persönlich näher kennen- und als kompetenten Journalisten schätzen gelernt hat. Eine gewisse Fernsehprominenz von Herrn Seibert wird aber auch eine Rolle bei der Wahl der Kanzlerin gespielt haben, sicher aber weniger sein Parteibuch: Seibert ist nämlich bekennender Wechselwähler.

3. Steffen Seibert ist als Politikberater bislang nicht in Erscheinung getreten. Ein Handicap?

Herr Seibert ist mit 50 Jahren noch vergleichsweise jung und wird sich in seine neuen Aufgaben einarbeiten müssen. Das haben schon ganz andere Ex-Journalisten vor ihm geschafft. Ich glaube sogar, dass er gegenüber anderen Mitbewerbern einen klaren Vorteil hat: Er weiß genau, wie das journalistische System funktioniert und wie man die Medien instrumentalisieren kann.

4. ZDF-Chefredakteur Peter Frey hat Seibert mit den Worten verabschiedet, er nehme "die bundesweite Bekanntheit, die er auf dem Schirm als Moderator von ,heute' und ,heute-journal' erworben hat" mit. Das klingt ein wenig beleidigt.

Aus solchen läppischen Abschiedsfloskeln spricht die Enttäuschung von Frey, einen seiner besten Leute zu verlieren, aber auch Unverständnis für Seiberts Wechsel. Ich finde, er hätte den Rollentausch wesentlich souveräner kommentieren können. Schließlich ist es ja auch ein Kompliment, dass Merkel jemanden vom ZDF und nicht von RTL, vom "Stern" oder der "Berliner Zeitung" abgeworben hat.

5. Wird Seibert nach dem Wechsel in die Politik-PR jemals wieder als Journalist arbeiten können?

Das haben bislang nur wenige geschafft. Die meisten Journalisten, die den Systemwechsel wagten und Pressesprecher wurden, arbeiteten anschließend als freie Berater oder Lobbyisten. Andererseits zeigt das Beispiel Ulrich Wilhelm, dass im öffentlich-rechtlichen Kosmos eine Rückkehr möglich ist.