Weshalb äußert sich unser unaufdringlich-fröhliches Nationalbewusstsein nur während der Fußball-Weltmeisterschaften? Weil deutsches Selbstgefühl nur bei internationalen Sportereignissen - und eigentlich nur im Fußball - als politisch korrekt gilt. Wieso eigentlich immer noch? Wir tun uns nach wie vor schwer mit Äußerungen gemeinsamer Bejahung dessen, was uns verbindet. Viel zu selten freuen wir uns alle zusammen darüber, dass es unser schönes, tüchtiges Land gibt und wir seine Bürger sein dürfen. Aufs Ganze gesehen bleiben wir bisher emotional gehemmt.

Unsere öffentliche Selbstdarstellung ist unterkühlt. Die Republik, die es schon mehr als 60 Jahre gibt, hat kaum Symbole gefunden, die unsere Gemeinsamkeiten allen positiv vor Augen führen. Deutschland hat fast keine Rituale entwickelt, in denen sich die Bürger feiern können. Wie alle Nationen brauchen aber auch wir festliche Momente der Selbstvergewisserung, um Lebensfreude, Ausstrahlung, Zuversicht, Kraft für die Zukunft zu gewinnen.

Republiken zehren noch vom Glanz früherer Monarchien, die zwar längst entkräftet oder gar verschwunden sind. Auch Demokratien brauchen und suchen die Verkörperung ihrer Gemeinsamkeiten in einer Person. Sie haben daher das Bedürfnis, sich um das Staatsoberhaupt emotional zu versammeln. In ihm, abgehoben vom unvermeidlichen Streit der Parteien, suchen sie sich all dessen zu vergewissern, was sie verbindet.

Wir orientieren uns ja immer wieder an Frankreich, Großbritannien und den Vereinigten Staaten, unseren demokratischen Vorbildern. Es fällt auf, dass sie alle drei ihren Staatsoberhäuptern quasi monarchische Positionen einräumen. Die symbolische Bedeutung der Spitzenrepräsentanten für das Lebensgefühl ihrer Nationen kann man deutlich an den Rollen ablesen, die im Bewusstsein der Amerikaner das Weiße Haus und in dem der Franzosen der Élysée-Palast spielen, der Buckingham-Palast natürlich sowieso.

Auch in Ländern, die keine Könige mehr haben oder nie hatten, verkörpert sich also die Einheit der Nation im Spitzenrepräsentanten, im Staatsoberhaupt. Es ist selbstverständlich, dass er in seinem Amtssitz auch wohnt - natürlich nicht allein, sondern mit seiner Familie. Gerade dadurch wird ja deutlich, dass der Präsident keinen Job hat wie jeder Beamte oder Angestellte, der morgens ins Büro fährt und nach getaner Arbeit gegen Abend seinen Arbeitsplatz verlässt. Auch heute noch und für alle Präsidenten gilt, wie es im Schloss von Versailles heißt: "Der König hat kein Privatleben." Wer beobachtet hat, mit welcher Aufmerksamkeit die Familie Obama in der amerikanischen Öffentlichkeit als verbindliches Vorbild, ja als Inkarnation der Nation betrachtet wird, der weiß, dass Entsprechendes, wenn auch abgeschwächt, überall in Europa gilt. Nicht nur in Fragen der Mode werden die Staatsspitzen als Modell empfunden. Was der Präsident und vor allem die First Lady tragen, beeinflusst den Stil, mit dem sich die Bürger identifizieren. Ob sie will oder nicht, wird Bettina Wulff hier Maßstäbe des guten Geschmacks setzen.

Und nicht nur hier. Wenn die Präsidentschaft Christian Wulffs ein Erfolg werden soll, wird das wesentlich davon abhängen, in welchem Maße er dem Amt, das er jetzt innehat, eine neue, eigene Ausstrahlung vermittelt. Seit Langem ist er der erste Amtsinhaber, der mit einer jungen Familie nach Berlin kommt. Er muss das Schloss Bellevue zur gemeinsamen Heimstatt machen. Das wird seiner Wirkung und damit der des Amtes sehr zugute kommen.

Der jetzige Bundespräsident und seine Frau haben schon vor der Wahl öffentlich erkennen lassen, dass Vater, Mutter, Kinder und das Amt untrennbar zusammengehören. Christian Wulff sprach davon, dass er für den Jüngsten eine Spielecke in seinem präsidialen Arbeitszimmer einrichten wolle - was natürlich nur machbar ist, wenn die Wulffs in Bellevue wohnen. Auch Bettina Wulff sprach von einem Kinderzimmer, einem Spielzimmer im Schloss. Geeignete Kindergärten und Schulen gibt es in allernächster Nähe. Beide Wulffs haben instinktiv einen richtigen Impuls gehabt, den es jetzt beherzt und zügig in die Tat umzusetzen gilt. Denn momentan gibt es keine Wohnmöglichkeiten in Bellevue. Frühere Wohnräume sind von Vorgängern beseitigt worden. Aber was spricht dagegen - ja alles spricht dafür! -, das rückgängig zu machen? Bundespräsidenten haben am Schloss Bellevue immer wieder Umbauten vornehmen lassen.

Es ist die Pflicht des Parlaments, jetzt unserem neuen Präsidentenpaar im Schloss Bellevue rasch angemessene Wohnmöglichkeiten zu verschaffen, die dem Rang ihrer Stellung und der repräsentativen Bedeutung des Amtes entsprechen.