Der ehemalige Botschafter Amerikas in Berlin verweist auf die unzeitgemäßen Aufträge der russischen Agenten in Zeiten weltweit offener Datenströme

Amerikanische Zeitungen haben eine saftige Story gefunden, um die heißen Sommertage mit der Nachricht zu beleben, dass ein russischer Spionagering in den USA aufgedeckt worden ist. Die Tatsache, dass die Zeitungen den Vorgang mehr mit Humor als Besorgnis behandelten, zeigt, wie sehr sich die Zeiten seit dem Kalten Krieg geändert haben. Bislang scheint das wichtigste Detail in den glamourösen Fotos einer der weiblichen Agenten zu bestehen. Die Zeit wird zeigen, wie bedeutend die Folgen dieser Entdeckung wirklich sind. Präsident Obama hat klargestellt, dass sie die jüngst verbesserten Beziehungen zu Russland nicht beeinträchtigen wird.

Aber als jemand, der viele Kontakte mit russischen Geheimagenten während des Kalten Krieges und danach hatte, bin ich besorgt über einen bedeutenden Aspekt des Falles, der kaum mit Geheimnissen zu tun hat, die die Agenten zusammengetragen haben mögen.

Jeder, der mit den Russen zu tun hatte, ist beeindruckt von ihrer Konzentration auf Details und ihrem konspirativen Ansatz bezüglich der Dinge, die sie besprechen möchten. So vermag ich nicht mehr zu sagen, wie oft ich von Russen, die ich kaum kannte, gefragt wurde, wo meine Großeltern geboren wurden. Oder wie oft ich noch heute über die wahren Absichten der amerikanischen Regierung bezüglich Russlands befragt werde - als ob öffentliche Verlautbarungen der Unwahrheit entsprächen.

Es ist genau jene Überzeugung, dass echte Informationen nur von Geheimagenten stammen können, die zu solchen Spionageoperationen führen wie jener, die in Amerika aufgedeckt wurde. Sämtliche russischen Staatsbediensteten in Übersee scheinen sich zu engagieren, die geheime, innere Wahrheit jenes Landes zu entdecken, in dem sie leben. Die Aufgabe der Agenten in den USA scheint es zu sein, herauszufinden, was die amerikanische Elite denkt, und dies Moskau zu berichten. Man wirft ihnen nicht mal Spionage vor. Stattdessen wurden sie inhaftiert, weil sie sich nicht als Agenten hatten registrieren lassen. Dieses Gesetz findet gewöhnlich auf Lobbyisten Anwendung - was diese "Spione" beinahe zu sein scheinen.

Doch jedem, der die USA kennt, wird schnell klar, dass das meiste Wissenswerte öffentlich verfügbar ist. Amerikaner, inklusive Staatsbediensteten, lieben es, über das, was sie denken, zu reden und zu schreiben. Es ist Teil des "Geschichten-Erzählens", die Basis unserer Kultur. Und heute leben derart viele russische Immigranten in den USA, dass es wirklich nicht notwendig ist, eine amerikanische Identität anzunehmen. Atomgeheimnisse dürften wohl immer noch am besten von Spionen gesammelt werden. Aber alles andere? Man versuche es im Internet oder verfolge Twitter.

Ich kann nicht umhin, die Ironie der Situation zu bemerken, auch die offenen Fragen bezüglich der Zukunft Russlands. Da hat jemand in Moskau Millionen Rubel ausgegeben, um Informationen sammeln zu lassen, die im Internet oder in Veröffentlichungen frei zugänglich sind. Und sie taten dies, während Präsident Medwedew sich gerade im Silicon Valley aufhielt, um zu lernen, wie Russland vom amerikanischen Erfolg auf dem Gebiet der Informationstechnologie profitieren könne. Um vollständig Zugang zu den weltweiten Informationsnetzwerken zu erhalten, müsste Russland zunächst die Tradition jener geschlossenen Zirkel durchbrechen, für die Information Macht bedeutet.

In der modernen Welt besteht die wahre Quelle von Einfluss in der Fähigkeit, innerhalb der offenen Informations-Märkte zu operieren - nicht darin, jedes Detail zu kontrollieren.

Vielleicht wäre der beste Weg, mit dem russischen Spionage-Netzwerk zu verfahren, gewesen, ihnen Marketing-Pläne von Google und Microsoft zu übergeben - mit dem Aufdruck "Vertraulich". Dies hätte den Berichten in Moskau Glaubwürdigkeit verschafft - und den Russen geholfen, den Wert von Offenheit zu lernen. Immerhin ist einer der Gründer von Google, Sergej Brin, selbst Einwanderer aus Russland.