Prof. Ulrich Karpen, 71, ist Verfassungs- rechtler.

Hamburger Abendblatt:

1. In Eimsbüttel ist der Bau eines vergleichsweise kleinen Hauses am Einspruch der Bürger gescheitert. Ist die direkte Demokratie auf Abwegen?

Ulrich Karpen:

Die direkte Demokratie ist ein wünschenswertes Korrektiv der parlamentarischen Demokratie. Bürger können auch in Sachfragen entscheiden. Allerdings ist der hamburgische Bürgerentscheid auf Bezirksebene sehr "kleinteilig". Das gilt für den Inhalt der Entscheide, vor allem aber für die Zahl der Unterstützer, die für die Durchführung des Verfahrens notwendig sind.

2. Befördern Bürger- und Volksentscheide in erster Linie Partikularinteressen gut organisierter Gruppen?

Man muss unterscheiden. Volksentscheide - wie zur Schulreform - müssen sich auf hinreichend viele Bürger stützen, die "mitmachen". Das gelingt nur bei politisch bedeutenden Fragen. Anders beim bezirklichen Bürgerentscheid. Hier reichen - etwa im Bezirk Bergedorf mit rund 100 000 Wahlberechtigten - bereits 1000 Unterschriften, um die Verwaltung erst einmal "stillstehen" zu lassen. Und der Bürgerentscheid ist zustande gekommen, wenn er die Mehrheit hinter sich bringt - unabhängig davon, wie viele Bürger sich beteiligen. Klar, dass hier schon kleine Sonderinteressen Erfolg haben können.

3. In Eimsbüttel haben im aktuellen Fall nur gut 23 Prozent abgestimmt. Müssen die Hürden heraufgesetzt werden, zum Beispiel das Beteiligungsquorum?

Nach meiner Auffassung ist ein Bürgerentscheid nicht hinreichend legitimiert, wenn sich nicht mindestens 40 bis 50 Prozent der Wahlberechtigten des Bezirks an der Abstimmung beteiligen.

4. Sind offensichtlich kuriose Entscheidungen wie die in Eimsbüttel der Preis für die direkte Demokratie?

Das sehe ich nicht so. Solche Entscheidungen sind möglich, wenn die rechtlichen Rahmenbedingungen nicht stimmen. "Die" direkte Demokratie gibt es ebenso wenig wie "das" gerechte Wahlverfahren bei Bundestags- und Bürgerschaftswahlen. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, mit Quoren und anderen Instrumenten einen Mittelweg zwischen der Berücksichtigung des Volkswillens und organisiertem Gruppenaktivismus zu finden. Das muss im Bezirksverwaltungsgesetz angepackt werden.

5. Krankt die Volksgesetzgebung daran, dass die Menschen leichter gegen etwas als für etwas zu mobilisieren sind?

Das ist überall so. Die Menschen sind eher egoistisch als positiv solidarisch. "Heiliger Florian, verschon mein Haus, zünd das des Nachbarn an!" Diese Tatsache spricht also nicht gegen die Volksgesetzgebung.