Eine Glosse von Birgit Reuther

Mit der Entschleunigung ist das so eine Sache. Da dachten wir jahrelang, der Dreiklang aus Rotwein, gutem Buch und Füße hoch sei das ultimative Rezept, um der gestressten Seele Ruhe zu verschaffen. Statt durch den Alltag zu hetzen, flanieren wir durch die Seiten eines Romans.

Und nun das: Elektronische Bücher auf hoch technisierten Geräten zu schmökern dauert länger, als Gedrucktes auf Papier zu verschlingen, will der Däne Jakob Nielsen herausgefunden haben. Das vermeintlich Gestrige überholt den goldenen Hype, der (eigentlich) für seine Schnelligkeit vergöttert wird. Für eine Kurzgeschichte Hemingways benötigten Versuchsleser im Schnitt 17,20 Minuten. Mit dem iPad brauchten sie 6,2 Prozent länger. Mit dem Kindle verzögerte sich die Lektüre gar um 10,7 Prozent. Die aus diesem Ergebnis resultierenden Szenarien sind absehbar: Kids schleichen, der Playstation überdrüssig, um das elterliche Bücherregal. Auf der Suche nach dem nächsten Geschwindigkeitsrausch. Erstausgaben von Goethe und Schiller: Adrenalin pur. Schlink und Suter zwischen zwei Pappdeckeln: der größtmögliche Kick. Jugendschützer treten auf den Plan, die befürchten, Bücher würden eine dafür empfängliche Persönlichkeitsstruktur süchtig und sozial inkompatibel machen. "Die Zeit" veröffentlicht ein Dossier: "Die Bibliothek - der Feind in unserem Wohnzimmer". Und wir, wir legen die Füße hoch, trinken Rotwein und entspannen - bei einem guten Kindle.