Am 18. Juli kommt es in Hamburg zum ersten Volksentscheid. Zwei Punkte einer sehr umfassenden Schulreform stehen zur Abstimmung: vier oder sechs Jahre gemeinsames Lernen, Elternwahlrecht nach Klasse 4 ja oder nein. Alle anderen Verbesserungen sind bereits beschlossen: kleinere Klassen, mehr Lehrer, individualisierter Unterricht, Abschaffung des Büchergeldes. Wichtige Schritte, um den Bildungserfolg vom Elternhaus und der sozialen Herkunft abzukoppeln - sicher die größte Herausforderung unseres Bildungssystems.

Dass es den gewählten Volksvertretern nicht gelungen ist, die beiden letzten noch offenen Fragen im Konsens so zu klären, dass ein Volksentscheid überflüssig geworden wäre, ist für mich Politikversagen. Denn die beiden Fragen spalten die Bürger: Zwei Lager stehen sich ziemlich unversöhnlich gegenüber. Beide kämpfen mit harten Bandagen für ihre jeweilige Überzeugung, für Kompromisse ist es zu spät. Die Hilflosigkeit der Politik war mit Händen zu greifen, als der allseits respektierte Unternehmer Michael Otto gebeten wurde, zu vermitteln. Ihm ist dies hoch anzurechnen, politische Führung aber sieht anders aus. Nun muss ein Volksentscheid die Lösung bringen. Wie immer er ausgehen wird, das Ergebnis wird knapp sein. Eine knappe Mehrheit wird obsiegen, eine große Minderheit unterliegen. Keine guten Voraussetzungen, um danach für Schulfrieden zu sorgen.

Oder doch? Immerhin werden am 18. Juli gut informierte Bürger abstimmen: In vielen Teilen der Hamburger Gesellschaft, in allen Stadtteilen, Zirkeln, Gremien und natürlich in den Schulen wird ja sehr lebendig über das Für und Wider der Schulreform diskutiert. Fast jeder hat mittlerweile eine Meinung. Vielleicht entsteht sogar ein neuer Bürgersinn, nach dem Motto: "Wenn die Politik das nicht hinkriegt, dann nehmen wir Bürger dieses Thema eben selbst in die Hand."

Darin liegt die Chance der direkten Demokratie: Das eigene Abstimmungsverhalten hat unmittelbaren Einfluss auf die Gesetzgebung. Hamburg als Stadt, in der die Bürger (früher: die Kaufleute) ohnehin alles selbst in die Hand nehmen mussten und in die Hand nahmen, ist vielleicht prädestiniert für diese Form direkter Bürgerbeteiligung. Vielleicht stehen wir sogar am Vorabend einer Renaissance bürgerschaftlichen Gemeinsinns: Angesichts der Finanzkrise und ihrer Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte trifft mehr denn je zu, was der Politikwissenschaftler Fritz Scharpf als "überdehnten und überforderten Staat" bezeichnet hat. Doch auch direkte Demokratie will gelernt sein: Nicht nur, wie die Frage des Volksentscheids selbst formuliert werden darf (und wie nicht), war Gegenstand von Auseinandersetzungen. Auch die Frage nach dem Umgang mit einer Niederlage muss noch erlernt werden.

Die spannende Frage ist nämlich: Wie wird die Welt am Tag danach aussehen? Wie werden diejenigen, die beim Volksentscheid unterliegen, mit ihrer Niederlage umgehen?

Dazu eine kleine Geschichte aus der Schweiz. In Sachen Volksentscheid haben uns die Schweizer einiges voraus. Sie haben mit direkter Demokratie nicht nur mehr Erfahrung, sondern auch mit deren Folgen. Am 30. April 1989 fand im Kanton Appenzell-Ausserrhoden ein Volksentscheid über das Frauenwahlrecht statt. Es war der vorletzte Kanton der Schweiz, in dem nur Männer Stimmrecht hatten. Alle männlichen Stimmberechtigten versammelten sich auf dem Marktplatz in Herisau und hatten ihr Schwert als Zeichen ihrer Wahlberechtigung dabei. Der Landammann, der die Abstimmung leitete, stellte sich vor die Menge und fragte: "Wer ist DAFÜR, dass die Frauen künftig mitstimmen dürfen?" Zahlreiche Schwerter wurden in die Luft gestreckt. Danach stellte er die Frage: "Wer ist DAGEGEN, dass die Frauen künftig mitstimmen dürfen?" Wieder waren es zahlreiche Schwerter, die nach oben zeigten. Für einen Beobachter war nicht zu erkennen, wer nun die Mehrheit hatte. Der Landammann verkündete darauf: "Hiermit stelle ich fest, dass künftig die Frauen mitstimmen dürfen."

In einem Gespräch in einer Gaststätte direkt im Anschluss wurde einer der Gegner dieser Entscheidung gefragt, wie er denn die Abstimmung empfunden habe, und er antwortete: "Gut, dass wir uns entschieden haben."

Was lehrt uns das für Hamburg? "Schulfrieden" wird es nur geben, wenn die Unterlegenen am Tag nach dem Volksentscheid ihre Niederlage annehmen, sich den Ärger aus den Kleidern schütteln und das Beste daraus machen.

Wie werde ich mich verhalten? Ich werde gegen die Schulreform stimmen. Von den bereits beschlossenen Verbesserungen wie kleinere Klassen, mehr Lehrer und individualisierter Unterricht bin ich überzeugt, nicht aber von der Idee der Primarschule. Sollte aber die Mehrheit anderer Auffassung sein als ich, werde ich am Tag danach das Ergebnis als Mehrheitsentscheidung akzeptieren und das Ergebnis in der Umsetzung dann auch unterstützen.