Alfred Boss, 63, ist Konjunkturexperte im Kieler Institut für Weltwirtschaft.

Hamburger Abendblatt:

1. Die Arbeitslosigkeit ist auf 3,153 Millionen gesunken. Wirtschaftsforscher hatten bis zu fünf Millionen Erwerbslose in der Krise prognostiziert. Warum lag die Wissenschaft hier so falsch?

Alfred Boss:

Man hat die Wirkung der Arbeitsmarktreformen unterschätzt. Die Agenda 2010 hat dazu geführt, dass die Lohnanstiege in den vergangenen Jahren sehr moderat waren. Durch die Kurzarbeiterregel wurden zudem mehr Facharbeiter in den Betrieben weiterbeschäftigt als erwartet. Auch haben viele Firmen aus Angst vor Fachkräftemangel ihre Mitarbeiter in der Krise gehalten. Man hat Arbeitskräfte gehortet, um sie im nächsten Aufschwung einzusetzen. Falsch eingeschätzt wurde auch der Rückgang der Arbeitszeit je Beschäftigten, der sich durch die Beliebtheit von Minijobs und Teilzeit fortgesetzt hat. Dies alles hat dem Arbeitsmarkt mehr geholfen als vorhergesagt.

2. Ein-Euro-Jobber werden nicht als Arbeitslose registriert. Wird die Statistik geschönt?

Heute werden Beschäftigte, die privat vermittelt werden, nicht mehr in der Statistik erfasst. Das hat insgesamt zu einem Rückgang von bundesweit 200 000 Arbeitslosen geführt.

3. Jeder zweite Arbeitslose in Hamburg hat keine Ausbildung. Welche Konsequenz muss daraus gezogen werden?

Die Politik darf auf keinen Fall bei Bildungsausgaben sparen. Es muss verhindert werden, dass Jugendliche ohne Abschluss die Schulen oder ihre Lehre verlassen. Auch muss das vorhandene Geld optimal eingesetzt werden. Die Bessergebildeten haben künftig die besten Chancen am Arbeitsmarkt. Ob dies allerdings Ingenieure oder eher IT-Kräfte sind, ist schwer vorherzusagen.

4. Die Älteren, die Über-55-Jährigen, haben es besonders schwer, einen Job zu finden. Wird sich dieses Problem durch die Demografieentwicklung entspannen - und wenn ja, wann?

Frühestens 2012 wird sich hier die Situation leicht entspannen, bevor spätestens 2020 ein echter Mitarbeitermangel eintreten könnte. Wichtig ist aber auch die Länge der Bezugsdauer beim Arbeitslosengeld. Solange es möglich ist, eine längere Zeit vor dem Rentenbeginn durch Arbeitslosigkeit zu überbrücken, gibt es für Ältere kaum Anreize, einen Job anzunehmen. Die Anreize nehmen zu, je höher das Rentenalter festgesetzt wird.

5. Wie werden sich die Konjunktur und die Arbeitslosigkeit 2010 und 2011 entwickeln?

Wir erwarten eine kräftige Weltkonjunktur, die sich positiv auf unsere Exportwirtschaft auswirkt. Die Arbeitslosigkeit wird nach unserer Prognose 2010 durchschnittlich bei 3,2 Millionen liegen und bis zum Ende 2011 auf 2,85 Millionen Arbeitslose sinken.