Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) steht vor erheblichen finanziellen Herausforderungen. Die Analysen über die Ursachen und die Vorschläge zur Behebung sind so zahlreich, dass selbst Insider den Überblick verlieren. In den vergangenen 20 Jahren hat es mindestens fünf "Jahrhundertreformen" gegeben, über 8000 Einzelvorschläge sind in Änderungs-, Wettbewerbsstärkungs- und Modernisierungsgesetze gepackt worden. Viele waren noch nicht einmal in Kraft getreten, da wurden sie schon wieder geändert!

Das Ergebnis: Einzelne Paragrafen des Sozialgesetzbuches V (Krankenversicherungsrecht) umfassen mittlerweile mehr als acht (!) DIN-A6-Seiten. Die Probleme bleiben.

Für 2010 rechnet das Bundesversicherungsamt mit einem Minus von 3,1 Milliarden Euro, für 2011 mit einem Defizit von elf Milliarden Euro.

Die Krankenkassen werden in diesem Jahr rund 170 Milliarden Euro an die Leistungserbringer verteilen, davon gehen etwa 55 Milliarden an die Krankenhäuser, über 30 Milliarden werden jeweils für Arzneimittel und die ärztliche Behandlung ausgegeben, die zahnärztliche Behandlung schlägt mit rund zwölf Milliarden Euro zu Buche.

Allein Hamburgs Krankenhäuser bekommen 1,5 Milliarden Euro, 400 000 Hamburger werden im Jahr hier stationär und 200 000 ambulant versorgt, fast 200 000 Rettungseinsätze gefahren.

Das Dilemma der gesetzlichen Krankenversicherung: Die Krankenkassen zahlen die Leistungen für ihre Versicherten, werden aber nicht in die Lage versetzt, die Versorgungsangebote sinnvoll und nachhaltig zu steuern. Es gibt kaum Wettbewerb und wenig Transparenz. Die Eingriffe der Politik führen bisher nicht oder nur in einem sehr geringen Umfang zu einer Verbesserung der Situation, im Gegenteil.

So entscheidet in Hamburg die Stadt über neue Angebote und Bettenausweitungen und schreibt diese in einem Fünfjahresplan für die Hamburger Kliniken fest. Die medizinischen Leistungen zahlen dann die Beitragszahler der gesetzlichen Krankenversicherung.

Und in Berlin wurden trotz knapper Kassen Wahlgeschenke verteilt: Allein im Jahre 2009 vor der Bundestagswahl über acht Milliarden Euro an Krankenhäuser und niedergelassene Ärzte.

Neue Chancen, mit integrierter Versorgung medizinische Versorgung zu verbessern, Vorsorge und Prävention auszubauen sowie regionale Versorgungsstrukturen aktiv mitzugestalten, werden zwar von den Kassen zunehmend genutzt, insgesamt sind die Möglichkeiten, ihre Aufgabe als Sachverwalter ihrer Versicherten wahrzunehmen, jedoch allzu sehr begrenzt.

Während einige Gesundheitspolitiker sich in Berlin mit der Frage beschäftigen, wie bei den Ausgaben vertretbar gespart werden kann, verordnen andere bereits neue Ausgaben.

So kann der per Gesetz neu geregelte Zwang, dass die Kassen Hausarztverträge mit verbindlich vorgeschriebenen Vertragspartnern abzuschließen haben, zu weiteren 1,5 Milliarden Euro Ausgaben für die GKV führen, ohne die medizinische Versorgung entscheidend qualitativ zu verbessern.

Der Einzug der Zusatzprämie verursacht bei den gesetzlichen Krankenkassen Ausgaben in einer Größenordnung von rund einer Milliarde Euro.

Was ist zu tun?

Das Arzneimittelsparpaket und die von den CDU-Gesundheitsexperten vorgelegten Sparvorschläge gehen in die richtige Richtung. Um die anstehenden Herausforderungen zu bewältigen, sind aber dennoch weitergehende Schritte nötig.

1. Die paritätische Finanzierung (Arbeitnehmer/Arbeitgeber) der GKV muss bleiben. Dieses System, in dem Reiche für Arme und Gesunde für Kranke einstehen, hat sich bewährt. Alles andere schafft neue Ungerechtigkeiten.

2. Wir brauchen mehr Vertragsfreiheiten für die gesetzlichen Krankenkassen, um eine bessere Qualität und mehr Wirtschaftlichkeit für die Versicherten zu erzielen.

3. Die Position der Krankenkassen bei Entscheidungen und Verhandlungen muss gestärkt werden.

4. Wir brauchen Wettbewerb auch auf der Seite der Leistungserbringer.

5. Es müssen endlich die in vielen Bereichen vorhandenen Doppelstrukturen abgebaut werden.

Alles in allem:

Abkehr von überbürokratisierten Gesetzesvorgaben, stattdessen Vorfahrt für die Selbstverwaltung. Denn die Verantwortlichen innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung und der Leistungsanbieter selbst sind am besten urteilsfähig.