Ulrike Mascher (71) ist Präsidentin des Sozialverbands VdK.

Hamburger Abendblatt:

1. Die IG Metall hat "Wochen der sozialen Unruhen" angekündigt. Sind Proteste wie in Frankreich bei uns möglich?

Ulrike Mascher:

Wir kennen den Streik zur Durchsetzung von Lohn- und Gehaltsforderungen. Die Sozialpartnerschaft hat uns vor Generalstreiks bewahrt. Ich würde aber nicht ausschließen, dass sich das ändert. Beispielsweise belasten die Kostensteigerungen im Gesundheitswesen einseitig die Arbeitnehmer und Rentner, wenn der Arbeitgeberbeitrag festgeschrieben werden soll.

2. Wo könnte man kürzen, ohne den Arbeitsmarkt und die Steuereinnahmen zu gefährden?

Warum wird bei uns auf Arzneimittel der volle Mehrwertsteuersatz erhoben und auf Hotelübernachtungen und Bergbahnen nur der reduzierte? Die Krankenkassen könnten Milliarden sparen. Auf der anderen Seite führt das Streichen des Rentenbeitrags für Arbeitslosengeld-II-Empfänger bei der Rentenversicherung zu Mindereinnahmen von zwei Milliarden. Da wird spektakulär gesagt, es wird gespart. Aber das Loch wird nur woanders hingeschoben.

3. Im Sparpaket der Regierung ist eine Regelung enthalten, nach der für Hartz-IV-Empfänger kein Elterngeld mehr gezahlt werden soll. Aber auch die Höchstbeträge für Gutverdiener werden gekürzt. Ist das gerecht?

Wir hatten Anfang des Jahres das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Regelsätzen für Kinder. Und da gab es deutliche Hinweise, dass das Bundesverfassungsgericht meint, diese Sätze für Kinder sind nicht bedarfsgerecht. Ich finde es politisch fragwürdig, vor dem Hintergrund dieses Urteils nun das Elterngeld für Kinder aus Hartz-IV-Familien zu kürzen.

4. Aber das Sparpaket umfasst doch auch eine Bankenabgabe, die Deutsche Bahn muss mehr Gewinn bringen, es gibt Kürzungen bei Beamten. Zeigt das nicht, dass alle den Schuldenberg abtragen müssen?

Wer fährt denn mehrheitlich mit der Bahn? Das sind die im mittleren Einkommensbereich. Die Bahnkunden müssen bluten. Die Bankenabgabe wurde zu Recht als ,Peanuts' bezeichnet. Wir haben außerdem nach wie vor keine Vermögenssteuer. Wenn man das ganz große Gemälde malt und sagt, alle müssen mithelfen, dann ist das Sparpaket nicht gelungen.

5. Einige Vermögende und Unternehmer würden einen größeren Sparbeitrag leisten. Wie kann man ihnen das erleichtern?

Bei der Einkommensteuer hatten wir in der Kanzlerschaft von Helmut Kohl schon einmal einen Spitzensteuersatz von 53 Prozent. Ich hatte nicht den Eindruck, dass die Bundesrepublik da Not leidende Reiche hatte. Ich bin der Meinung, beim Spitzensteuersatz muss man sich was überlegen.