Die Austritte aus der Kirche in Hamburg haben in diesem Jahr um 13,4 Prozent zugenommen. Als Hauptgrund gilt der Missbrauchsskandal.

In den vergangenen drei Monaten haben deutlich mehr Katholiken in Hamburg der Kirche den Rücken gekehrt als ein Jahr zuvor. Im März, nachdem etliche Missbrauchsfälle unter anderem am Canisius-Kolleg in Berlin, an der Hamburger Sankt-Ansgar-Schule, im Kloster Ettal und bei den Regensburger Domspatzen bekannt geworden waren, kehrten 324 Hamburger der Kirche den Rücken. Im März 2009 waren es nur 283 Austritte. Insgesamt zählt die Kirche rund 179.000 Katholiken.

Im April - dem Monat, in dem Bischof Walter Mixa schwere Kindesmisshandlungen vorgeworfen wurden - verlor die katholische Kirche 319 Gläubige, im Vorjahr waren es dagegen nur 152. Auch im Mai verzeichnete das Erzbistum Hamburg einen erheblichen Mitgliederschwund in der Stadt: 244 Katholiken traten aus der Kirche aus, im Mai 2009 waren es nur 147. Während die evangelische Kirche in Hamburg keine erhöhte Austrittszahl feststellt, liegt sie bei der katholischen Kirche für den Zeitraum Januar bis Mai dieses Jahres bei 1218. Im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es 1074, das entspricht einer Zunahme um 13,4 Prozent.

"Bei den Austrittszahlen müssen wir davon ausgehen, dass es mit den Missbrauchsvorwürfen zu tun hat", sagt Bistumssprecher Manfred Nielen. Es sei eine Tendenz, die in Deutschland generell zu beobachten sei. "Das ist traurig." Die Kirchaustritte täten weh. "Wir müssen sehen, dass wir das Vertrauen der Menschen zurückgewinnen."

Georg Bergner, Jugendpfarrer des Erzbistums Hamburg, überrascht der Mitgliederschwund nicht. "Nach dem Missbrauchsskandal hätte ich sogar mit einer stärkeren Erosion gerechnet", sagt der 32-jährige Priester. Er habe den Eindruck, dass die Kirche in den vergangenen Monaten sehr unsicher beim Umgang mit dem Thema gewesen und in der Kommunikation einiges falsch gelaufen sei. "Die letzte Zeit war anstrengend, der Druck von außen hoch. Der Ruf der katholischen Kirche ist stark beschädigt", sagt Bergner. "Wie viele Priester hatte auch ich Angst, unter Generalverdacht gestellt zu werden." Gerade weil er im Kinder- und Jugendbereich tätig sei. Vor allem Jugendgruppenleiter, die er bei der Katholischen Jugend Hamburg mit ausbildet, hätten sich bewusst von Heranwachsenden abgeschottet. Georg Bergner nicht. "Ich halte nichts davon, völlig übertriebene Distanz zu den Jugendlichen zu schaffen." Auch bei dem großen Schulgottesdienst an der Sankt-Ansgar-Schule, einen Tag nach dem Bekanntwerden der Missbrauchsfälle an dem katholischen Gymnasium, habe er die schlimmen Vorfälle und den damit einhergehenden Vertrauensverlust in seiner Predigt thematisiert, mit den Jugendlichen offen gesprochen. Denn nur durch Offenheit könne Unsicherheit genommen und eine Vertrauensbasis hergestellt werden.

"Bei einigen Priestern ist die Verunsicherung immer noch groß", sagt der Jugendpfarrer, der 2005 zum Priester geweiht wurde. Er habe jedoch keine Angst mehr, aufgrund seines Berufs pauschal in die Ecke der Täter gestellt zu werden. "Ich bin nach wie vor gern Priester", sagt Bergner. Die Jugendlichen selbst haben mir die Unsicherheit genommen. Indem sie mir trotz der vielen Schlagzeilen immer noch Vertrauen entgegen gebracht haben."

Auch Mladen Zeger, Mitglied der Domgemeinde St. Marien, hat sein Vertrauen in die katholische Kirche nicht verloren. "Sonst würde ich auch meinen Glauben an Jesus verlieren - und dann wäre ich ganz verloren", sagt der 73-jährige Kroate. Ein Austritt aus der Kirche käme für ihn nicht in Frage. Ebenso wenig wie für Rudi Müller, 72, der jeden Sonntag den Gottesdienst besucht. Manchmal auch in der Woche. "Ich brauche den Glauben", sagt der Rentner. "Er gibt mir Kraft, stärkt mich für den nächsten Tag." Damit sei er aufgewachsen. Es sei schrecklich, dass die Kirche so lange über die Missbrauchsfälle geschwiegen hätte. "Das ist erschütternd. Es ist wichtig, alles aufzuklären", sagt er. "Aber mein Glaube an Gott, der ist nicht erschüttert." Zudem sei es für ihn eine zu harte Konsequenz, der Kirche jetzt den Rücken zu kehren. In seiner Gemeinde des Kleinen Michels könne er nicht feststellen, dass weniger Menschen den Gottesdienst besuchen. Rudi Müller sagt: "Die Kirchenbänke sind voll."

Das berichtet auch Johannes Peter Paul, Pfarrer der St.-Bonifatius-Gemeinde: "Die Kirche ist genauso gefüllt wie immer." Eine Veränderung in seiner Gemeinde habe er trotzdem feststellen können. "Da ist etwas gewachsen an Solidarität, die Menschen stehen eng zusammen", sagt er. Wichtig sei, offen mit dem Thema umzugehen. "So schlimm und traurig der Missbrauchsskandal ist, es ist ein Glück, dass es endlich Transparenz gibt. Auch Martin Löwenstein, Pfarrer der Gemeinde St. Ansgar/Kleiner Michel bezeichnet es als "Segen", dass das Thema so breit in die Öffentlichkeit geraten sei. "Unsere Aufgabe als Kirche ist es jetzt, ein kontinuierliches Bewusstsein für ein gesellschaftliches Problem zu schaffen, das nach wie vor viel zu oft verschwiegen wird."