Lieber Jan Delay,

ich fange mal mit dem Positiven an: Selten zuvor hat ein Künstler die "derben Wurzeln" Hamburgs benannt, die in der Tat den eigentlichen Reiz der Stadt ausmachen. Viel zu oft ist nur von der gelackten Oberfläche die Rede. Auch das Foto der Sternbrücke auf dem Cover der "Kinder vom Bahnhof Soul" zeigt diese Seite Hamburgs, die wir offenbar beide sehr lieben. Danke dafür.

Richtig auf die Nerven geht mir allerdings inzwischen die Jammerei über Hamburgs Kulturpolitik, mit der Sie sich ja jetzt auch in eine Reihe mit den Richters, Lindenbergs und vielen anderen Großkünstlern gestellt haben. Da wird so getan, als würde alles immer schlimmer, und das ist einfach Quatsch.

Beispiel Musikklubs: Während in Berlin wieder einmal über die Schließung von Live-Klubs diskutiert wird, werden sie in Hamburg neu gebaut. Nicht nur der Mojo übrigens, sondern auch im "Klubhaus" ein paar Meter weiter - oder als Bestandteil der Neubebauung des Pestalozzi-Areals zwischen Großer und Kleiner Freiheit.

Beispiel Proberäume: Für die in den Bunkern in den nächsten Jahren wegfallenden Räume, die zum großen Teil eine erbärmliche Qualität haben, wird unter anderem ein Proberaumzentrum in Barmbek-Süd neu entstehen.

Beispiel Künstlerateliers: Mit Unterstützung der Internationalen Bauausstellung (IBA) werden die Veringhöfe in Wilhelmsburg als Atelierzentrum entwickelt, in zentraler Lage werden die Hallen im Oberhafen nach und nach für Künstler und andere Kreativschaffende verfügbar.

Beispiel Theater: In Barmbek-Nord entsteht die "Wiese" mit Proberäumen für freie Gruppen. Ich könnte viele weitere Beispiele anführen.

Ja, Hamburg hat weniger längst abgeschriebene und deshalb günstige Altbausubstanz als Berlin, und deshalb müssen wir auch neu bauen. Das ist teurer, aber es gibt Privatinvestoren, die wollen, dass es für das Kulturprekariat bezahlbare Nischen gibt.

In Hamburg konzentriert sich alles auf wenige Szeneviertel, die deshalb immer teurer werden. Deshalb muss die Stadt insgesamt noch großstädtischer werden. Und die Kreativen müssen auch mal in den Süden und Osten der Stadt blicken. Wann machen Sie ein Cover mit einem Foto aus Billstedt?

Ja, auch ich würde mir wünschen, dass der Hamburger Kulturetat deutlich und nachhaltig erhöht wird, um die chronische Unterfinanzierung der Museen, Theater, Bibliotheken etc. zu beenden. Aber der ewige Vergleich mit Berlin hinkt auch hier. Zieht man die Kultursubventionen einmal ab, die in der Hauptstadt aus dem Länderfinanzausgleich, direkt vom Bund oder aus öffentlich finanzierten Stiftungen geleistet werden, dann ist der Anteil des Kulturbudgets am Haushalt auch nicht höher als in Hamburg.

Was heißt das? Es heißt, dass Hamburg sich als Kulturmetropole viel deutlicher und selbstbewusster nach außen präsentieren muss, um auch ein größeres Stück vom Kuchen der Bundesmittel (zum Beispiel aus der Bundeskulturstiftung) abzubekommen. Dazu brauchen wir aber die Unterstützung unserer prominenten Künstler und nicht das ewige Klagelied. Und wir brauchen ihre Unterstützung für die vielen privaten Aktivitäten, von denen ich einige genannt habe. Das würde der Stadt guttun.

In der Tat wäre ich noch viel lieber Hamburger, wenn unser Bürgermeister nicht immer zuerst "Hafen, Hafen, Hafen", sondern "Musik, Theater, Kunst" rufen würde. Aber unsere Politiker können wir uns leider nicht backen. Die Kulturstadt nach vorn bringen, das können wir schon.

Mit souligen Grüßen