Niedrige Zinsen am Anleihemarkt treiben Konzerne in Sachwerte. Investments in Solarparks und Windkraft locken mit Renditen bis acht Prozent.

Hamburg. In der vergangenen Woche hat es mal wieder gut geklappt: Der Bund borgte sich vier Milliarden Euro für zwei Jahre am Kapitalmarkt - zum Nulltarif. Zinsen müssen an die Geldgeber so gut wie nicht gezahlt werden. Nicht zum ersten Mal konnte sich der Bund so günstig refinanzieren. Die Anleger müssen sich mit einer Rendite von 0,1 Prozent pro Jahr begnügen. Was den Bundesfinanzminister freut, ist eine Katastrophe für die deutschen Lebensversicherer und vor allem für ihre Kunden, die 78 Millionen solcher Policen in ihren Schubladen liegen haben. Durch die niedrigen Zinsen "haben wir eine Gefährdung der Altersvorsorge", sagt Volker Wissing, finanzpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion.

Die niedrigen Zinsen zwingen die Versicherer zu neuen Wegen: Sachwerte, die eine höhere Rendite von bis zu acht Prozent bringen, statt festverzinslicher Wertpapiere. "Wir haben gerade 100 Millionen Euro in Solarparks und Windkraftanlagen investiert", sagt Christian Arns, Sprecher der Debeka. Der Hamburger Versicherer Signal Iduna will zwei bis drei Prozent seiner 54 Milliarden Euro an Kapitalanlagen in Infrastrukturprojekte stecken. "Zuletzt haben wir uns an 15 Solarparks in drei europäischen Ländern beteiligt", sagt Ulrich Leitermann, zuständiges Vorstandsmitglied für die Kapitalanlagen der Signal Iduna.

Der Marktführer Allianz hat sich an dem norwegischen Gastransportnetzwerk Gassled beteiligt. Die Münchener Rück, zu der der Versicherer Ergo Leben gehört, will mittelfristig 2,5 Milliarden Euro in erneuerbare Energien und 1,5 Milliarden Euro in Infrastrukturprojekte stecken. Andere Unternehmen wie die Alte Leipziger greifen seit Jahresbeginn wieder zu Aktien. Aktuell liegt die Aktienquote bei fünf Prozent und soll in den kommenden Jahren noch verdoppelt werden.

+++ Grüne Energie für die Altersvorsorge +++

"Es ist gut, wenn für die langfristige Altersvorsorge auch in Produktivvermögen und nicht nur in Schuldverschreibungen investiert wird", sagt Reiner Will, Geschäftsführer der Rating-Agentur Assekurata. "Die Versicherer benötigen nachhaltige laufende Einkünfte, und erneuerbare Energien bieten das, deshalb ist eine solche Beimischung sinnvoll." Insgesamt könne das aber die Gesellschaften nicht aus der Zinsmisere befreien, denn gemessen an der gesamten Kapitalanlage könnten solche Beteiligungen nur einen geringen Teil ausmachen.

Im Schnitt stecken weiterhin 90 Prozent des Geldes der Lebensversicherer in festverzinslichen Wertpapieren. Die Allianz hat schon stärker diversifiziert: 20 Prozent der Anlagen sind keine Zinspapiere mehr. Außerdem begrenzen künftig die Richtlinien des Regelwerks Solvency II solche Investments in Windparks, Aktien oder Immobilien, die mit einem hohen Anteil an Eigenkapital unterlegt werden müssen.

"Unser Problem ist, dass wir auf einem Riesenberg von Geld sitzen", sagt ein Versicherungsmanager. "Aber es wird immer schwieriger, es sicher und mit einer akzeptablen Rendite anzulegen." An jedem Börsentag müssen die Lebensversicherer eine Milliarde Euro neu investieren. Das sind laufende Beitragseinnahmen und ausgelaufene Kapitalanlagen. Doch wohin mit dem Geld? Deutsche Staatsanleihen bringen fast keine Zinsen mehr. "Bundesanleihen kaufen wir derzeit nicht", sagt Jörg Ladwein, Chefanleger der Allianz Leben. Spanische und italienische Papiere sind mit hohen Risiken behaftet.

Ohnehin investiert die Assekuranz lieber in Pfandbriefe und Unternehmensanleihen, doch auch bei diesen Papieren zeigt sich der Zinsverfall. Ein zehnjähriger Pfandbrief bringt gerade noch 2,25 Prozent Rendite. Doch im Schnitt haben die Gesellschaften den Kunden einen garantierten Zins von 3,30 Prozent zugesagt. "Die Lage der Lebensversicherer ist angespannt", sagt Elke König, Präsidentin der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Noch können sie von älteren Anlagen mit höheren Zinsen zehren. Doch ohne bessere Investments geht die Rechnung auf Dauer nicht auf.

+++ Kleines Lexikon zur Lebensversicherung +++

Die Kunden bekommen das schon zu spüren. Seit Jahren sinkt die Verzinsung ihrer Policen. In diesem Jahr liegt sie bei 3,87 Prozent. Zum Vergleich: Im Jahr 2000 schrieben die Versicherer ihren Kunden noch 7,15 Prozent als Überschussbeteiligung gut. Wer ab jetzt über 30 Jahre jährlich 1200 Euro (also insgesamt 36 000 Euro) in eine Lebensversicherung einzahlt, kann im Marktdurchschnitt - auf Basis der aktuellen Überschussbeteiligung - am Ende mit einer Auszahlung von 64 375 Euro rechnen. Das sind 38 Prozent weniger im Vergleich zu einem identischen Vertrag, der bereits im Jahr 2002 zur Auszahlung kam.

Klar ist, die Prognosen über die Ablaufleistung, die bei Vertragsschluss vor Jahren abgegeben wurden, sind nicht mehr einlösbar. "Der Beratungsbedarf bei Lebensversicherungen ist groß", sagt Edda Castelló von der Verbraucherzentrale Hamburg. "Viele wollen aus ihren Verträgen aussteigen oder haben das bereits getan." Viele haben sogar mehrere Lebensversicherungen. "Die fragen sich, ob sie die zweite oder dritte Police wirklich brauchen und investieren das Geld lieber in Gold", sagt Robert Hartmann, Geschäftsführer des größten bankenunabhängigen Edelmetallhändlers Pro Aurum. "Das ist zwar noch kein Massenphänomen, aber die Fälle, in denen Kunden einräumen, das Geld fürs Edelmetall stammt aus einer gekündigten Lebensversicherung, nehmen deutlich zu." Hartmann schätzt sie auf mehrere Hundert pro Monat.

Umso stärker bemühen sich die Versicherer um Zuversicht. "Wir haben unsere Kapitalanlagen breit gestreut und haben schon traditionell einen höheren Anteil als im Branchenschnitt in Immobilien und Hypotheken investiert", sagt Leitermann von Signal Iduna. So machen die Versicherer den Banken Konkurrenz bei der Baufinanzierung, die inzwischen bei der Allianz acht Prozent der Kapitalanlagen ausmacht. Eine 20-jährige Baufinanzierung bietet die Allianz zu 3,10 Prozent an. Gesellschaften wie Allianz und Debeka geben an, trotz des niedrigen Zinsniveaus bei Neuanlagen noch eine Rendite von vier Prozent zu erreichen. Wie sie das machen, wollen sie nicht verraten. "Wir investieren langfristig und erreichen aufgrund unseres Volumens eine höhere Rendite als Kleinanleger", sagt Arns von der Debeka lediglich.

Doch ob sich damit die Vier vor der Komma bei der Überschussbeteiligung halten lässt, ist nicht sicher. "Die Versicherer müssen eine höhere Vorsorge für die Altverträge mit hohem Garantiezins treffen", sagt Will. So haben vor dem 1. Juli 2000 abgeschlossene Verträge noch einen Garantiezins von vier Prozent. "Diese Aufwendungen reduzieren den zu verteilenden Rohüberschuss für alle Kunden, sodass die Überschussbeteiligung eher weiter sinken wird", sagt Will. Neue Verträge bringen ohnehin nur noch einen Garantiezins von 1,75 Prozent.

Doch schon gibt es Überlegungen, das Garantiezinsmodell ganz zu kippen. Das neue von den Versicherungsmathematikern vorgeschlagene Modell empfiehlt einen zweistufigen Höchstrechnungszins, der nach 15 Jahren neu festgelegt werden kann, ähnlich der Zinsfestsetzung für Hypotheken, bei der die Bindung nur für bestimmte Zeitabschnitte gilt. Bisher ist noch kein Versicherer darauf eingestiegen. Sie fürchten, das ohnehin schwächelnde Geschäft damit weiter zu beeinträchtigen.