Der Alte Kontinent hat es trotz guter Vorsätze bisher nicht geschafft, seine globale Wettbewerbsfähigkeit entscheidend zu erhöhen

Wer den Niedergang Europas verstehen möchte, muss nur in seine Jackentasche schauen. Noch vor zehn bis 15 Jahren hätte dort ein Mobiltelefon gesteckt, das von Nokia, Ericsson oder Siemens, ja vielleicht sogar von AEG oder Bosch gefertigt worden ist. Damals brüstete sich der Alte Kontinent damit, in einer neuen Technologie führend zu sein. Und das zu Recht: Während die Amerikaner noch mit klobigen Knochen hantierten und die Japaner kaum vorankamen, gaben Europäer den Takt vor. Zehntausende Beschäftigte fertigten in Deutschland Telefone wie in Flensburg für Motorola, in Bochum für Nokia oder Siemens in Kamp-Lintfort. Damals gab es furchtbar kluge Aktienanalysten, die Siemens gar rieten, ihre langweiligen Geschäftsfelder gefälligst abzustoßen und ganz auf die Zukunft zu setzen: das Mobiltelefon.

Diese Zukunft ist längst Vergangenheit - bei Siemens hieß sie erst BenQ und dann Insolvenz, bei Motorola Standortschließung, bei Nokia Massenentlassung und Verlagerung erst nach Rumänien und nun weiter nach Asien. Längst spielt dort die Musik - und in Amerika. Der Computerhersteller Apple brachte erst 2007 seine ersten Mobiltelefone auf dem Markt, heute ist er Technologieführer bei den Tausendsassatelefonen, die Büro, Fernseher, Stereoanlage und Fotoalbum im Zigarettenschachtelformat vereinen. Bei diesen sogenannten Smartphones liegt der Weltmarktanteil für Apple bei 24 Prozent, Samsung aus Südkorea kommt sogar auf 30 Prozent. Nokia, einst uneinholbarer Marktführer mit weit über 40 Prozent der verkauften Telefone, ist unter zehn Prozent gefallen. Damit ist eine weitere Technologie auf und davon. Wo liegen die Ursachen für dieses Scheitern? Zunächst einmal bei den Unternehmen - sie müssen flexibel und innovativ sein, Qualität und Erfindergeist mit Marketingmacht kombinieren. Es muss zu denken geben, dass europäische Konzerne oft nur die zweite Geige spielen: Man verteidigt noch gewachsene Spitzenstellungen etwa in der Chemie oder Automobilindustrie, neue Produkte oder umwälzende Ideen entstehen anderswo. Wenn Unternehmer in Talkshows mal wieder mehr Flexibilität und Kreativität einfordern, dürfen sie gern bei sich beginnen.

Auch wir Bürger müssen uns hinterfragen, warum der Unternehmergeist in Europa eher unterentwickelt ist, während die Beamtenapparate aufgebläht sind? Warum ist das Ideal Sicherheit und frühe Rente und nicht Wagemut und Erfüllung in der Arbeit? Warum neiden wir Wirtschaftslenkern das Geld, während wir Rennfahrern sogar die Steuerflucht durchgehen lassen? Warum ist Europa so träge geworden? Warum denken, handeln, kaufen wir nicht europäischer?

Hier kommt die Politik ins Spiel - sie hat es versäumt, optimale Rahmenbedingungen zu schaffen. Es gibt nur wenige Zukunftsbranchen, die in Europa beheimatet sind: Die Internetwirtschaft stammt wie die Bio- und Pharmabranche vor allem aus den USA, die erneuerbaren Energien kamen mal aus Deutschland, nun mehr und mehr aus China, die Unterhaltungselektronik wird lange importiert. Natürlich hat gerade Mitteleuropa starke Maschinenbauer, Autohersteller und Chemiekonzerne, aber große Teile des Südens haben außer Tourismus, Wein und Olivenhain wenig zu bieten. Und die EU gibt 40 Prozent ihres Gesamthaushalts für landwirtschaftliche Subventionen aus.

Dabei sollte doch alles anders werden. Im Jahr 2000 beschloss die Union die Lissabon-Strategie, mit dem Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit Europas zu erhöhen. Als Messlatte dienten dabei Japan und vor allem die USA. Der Plan war ungefähr so erfolgreich wie ein Fünfjahresplan der verblichenen DDR und so effektiv wie das Motto "Überholen ohne einzuholen". Eines der Hauptziele lautete, den Anteil der Forschungsausgaben auf drei Prozent zu erhöhen: Das schafften mit Schweden und Finnland gerade mal zwei Staaten - diese lagen aber schon 2000 bei über drei Prozent. Deutschland verbesserte sich immerhin auf 2,5 Prozent, den Griechen gelang es, sich sogar noch minimal auf 0,6 Prozent zu verschlechtern. Auch das andere Ziel, die Steigerung der Beschäftigtenquote auf 70 Prozent, haben nur fünf Länder erreicht. Europa macht oft den Eindruck eines Kontinents, der eher eine Kuschelecke für die Trägen, Mühsamen und Beladenen verwaltet, als im Wettbewerb bestehen zu wollen.

Matthias Iken beleuchtet in der Kolumne "Hamburger KRITiken" jeden Montag Hamburg und die Welt