Thalia-Theater und Schauspielhaus stehen seit 110 Jahren im produktiven Wettstreit - um Zuschauer und die besten Schauspieler

An diesem Wochenende geht das Thalia-Theater in die Sommerpause, am Schauspielhaus war die Saison früher zu Ende, denn Umbauten stehen an. Nie herrscht Gleichstand zwischen den Hamburger Staatstheatern. Meist liegen beide im künstlerischen Wettstreit. Da hat momentan das Thalia die Nase vorn. Finanziell aber geht's dem Schauspielhaus besser. Es bekommt 2,5 Millionen Euro mehr als das Thalia, das sich zu Recht über diese Ungleichbehandlung beschwert.

Seit Ewigkeiten stehen beide Theater in produktiver Konkurrenz. Eigentlich seit 110 Jahren, seit das Schauspielhaus eröffnet wurde. Das Thalia existierte da schon 57 Jahre, feierte Erfolge mit Lokalpossen. Dessen Hausherr und Gründer, Chérie Maurice, war 1896 gestorben, der "Verein Hamburger Bürger zu St. Georg" spürte keinen Widerstand mehr bei seinem Plan, ein Theater als gesellschaftlichen Treffpunkt und zugleich Stätte der Bildung und Erbauung zu errichten. Es sollte "ein repräsentatives Bollwerk gegen die Herrschaft des schlechten Geschmacks" werden. Denn der schlechte Geschmack, da war man sich sicher, wurde am Thalia-Theater betrieben, dem Haus, das nach der Muse der komischen Dichtung und Unterhaltungskunst benannt war und an dem Lustspiele, Konversationsstücke und Komödien aufgeführt wurden. Das aufstrebende Bürgertum wollte sich aber seiner selbst vergewissern, wollte Klassiker, tragische Helden und realistische Darstellungskunst auf der Bühne sehen. Gewaltige Konflikte, die Unerbittlichkeit der Gefühle, tragische Schicksale, dargeboten in idealistischer oder psychologisch-realistischer Schauspielkunst, erhofften die Bürger nun auf der Bühne des Schauspielhauses wiederzufinden.

Mit der Gründung des Schauspielhauses im Jahr 1900 verliert das Thalia-Theater einige seiner beliebtesten Schauspieler an die Konkurrenz. Doch das Thalia engagiert neue, hochkarätige Schauspieler und präsentiert nun auch modernes Literaturtheater, also Gorki, Ibsen und Wedekind. 1912 zieht das Thalia ins heute noch bespielte Gebäude um (bald ist Jubiläum). Auch am Thalia ist man Avantgarde, der Kritiker Alexander Zinn schreibt: "Die Zischer mussten schweigen, weil die Augen ihrer Nachbarn zu sagen schienen: Gott, wie ungebildet sind Sie bloß." Schon damals weiß der später zur Berühmtheit gelangte Regisseur Leopold Jeßner, im Thalia gäbe es "das letzte wirklich geschlossene Theaterpublikum". Das ist 100 Jahre her, und scheinbar hat sich seitdem nicht alles geändert.

Macht man einen Zeitsprung, stellt man fest, dass sich die Konkurrenz zwischen beiden Theatern in den 70er-Jahren neu belebte. Zuvor hatten endlose Intendantenwechsel am Schauspielhaus dafür gesorgt, dass das Thalia sich vermehrt zum ersten Haus am Platze entwickelte. Erst mit Ivan Nagel, der 1971 Intendant wurde und alles, was Rang und Namen ans Schauspielhaus holte, wurde das Schauspielhaus wieder zur wichtigsten Hamburger, zur wichtigsten deutschen Bühne. Doch Boy Gobert, Thalia-Intendant, wollte dem nicht nachstehen. Fassbinder, Zadek, Bondy und Strehler inszenierten am Schauspielhaus. Neuenfels, Flimm, Hollmann am Thalia. An beiden Häusern brillierten die Schauspieler: Ulrich Wildgruber, Eva Mattes, Barbara Sukowa am Schauspielhaus, Ingrid Andree, Hans-Christian Rudolph, Peter Striebeck am Thalia.

Erst in den 90er-Jahren, als Jürgen Flimm Intendant am Thalia war und Frank Baumbauer das Deutsche Schauspielhaus leitete, entwickelte sich wieder eine ähnlich großartige Konkurrenz der Bühnen zum Wohle der Zuschauer. Wer wurde öfter zum Theatertreffen eingeladen? Wer hatte das aufregendere Ensemble? Thalia und Schauspielhaus wechselten sich ab mit Zuschauerrekordzahlen, ausgezeichneten Inszenierungen, preisgekrönten Schauspielern. Von 2000 an, als Ulrich Khuon Intendant wurde, sammelte das Thalia wieder die meisten Rekorde. Das ist auch bei seinem Nachfolger, Joachim Lux, so geblieben. Wenn 2013 Karin Beier die Leitung des Schauspielhauses übernimmt, wird sich die Konkurrenz deutlich verschärfen.