Bei der EM hat der Sport die Politik verdrängt - aber die Leistungen sind steigerungsfähig

Was lehrt uns die Europameisterschaft bisher? Zum Beispiel, dass kein Geld doch Tore schießt. Nach der gestern beendeten Gruppenphase stehen mit Griechenland, Portugal, Italien und Spanien Nationen im Viertelfinale, die in Europa abseits des Fußballs nur an der Spitze stehen, wenn es um Finanzlöcher und Massenarbeitslosigkeit geht. Und sonst?

"Wir hätten es besser machen können, aber besser wäre Perfektion gewesen", sparte Michel Platini nicht mit Eigenlob über die Organisation der EM-Endrunde. Der unbescheidene Präsident des europäischen Fußballverbandes Uefa fühlt sich bereits zur Halbzeit des Turniers darin bestätigt, eine EM-Endrunde erstmalig nach Osteuropa vergeben zu haben. Und tatsächlich: Wer erinnert sich heute noch an die leidenschaftlich geführten Diskussionen über die politische Situation in der Ukraine, an den schleppenden Aufbau der Stadien und der Infrastruktur? Wer redet noch über die in düsteren Farben gemalten Szenerien von sich prügelnden Fans? Wer interessiert sich noch dafür, ob Frau Merkel oder Herr Hollande auf der Tribüne sitzt, wenn der Ball rollt? Einzig vereinzelte Rassismus-Vorfälle und Ausschreitungen in Polen störten das harmonische Fußball-Idyll.

Wie sehr der Sport in diesen Tagen die Politik überholt hat, zeigt eine fast völlig ignorierte Meldung diese Woche: Weil in Kiew am Wochenende bis zu 200 000 Menschen auf der größten Fanmeile dieser Europameisterschaft erwartet werden, plant die Stadtverwaltung eine Erweiterung - der das Protest-Camp zugunsten der inhaftierten Julia Timoschenko zum Opfer fallen könnte. Die Aufregung darüber war verschwindend gering. Und dass das für 480 Millionen Euro errichtete Terminal D des Flughafens Borispol noch immer seinen Betrieb nicht aufgenommen hat? Sei's drum, für Platini und seine Perfektionisten sind das nur Peanuts.

Zurückrudern musste die Uefa nur bezüglich der Einblendungen bei Live-Übertragungen. Der Betrug am TV-Zuschauer, dem aufgezeichnete Häppchen als aktuelle Ware feilgeboten wurden wie der Streich, den Joachim Löw einem Balljungen spielte, zeigt im Detail, wie der Fußball zunehmend als Event für den Gelegenheitsfan aufgehübscht wird. Eine gefährliche Entwicklung.

Wer sich jedoch weniger für die bunte Verpackung, sondern allein für den Sport interessiert, dem musste in der Gruppenphase auffallen, dass sich - mal abgesehen von Irland - die Teilnehmer der EM in ihrer Leistung immer mehr annähern. Ein Überflieger des Turniers ist bisher nicht auszumachen. Selbst Deutschland, als einzige Mannschaft ohne Punktverlust in die K.-o.-Runde eingezogen, hat noch viel Luft nach oben.

Die "Breite in der Spitze", wie es im Fußballjargon gerne heißt, führte zwar dazu, dass bis gestern Abend kein Spiel 0:0 endete, was auf den ersten Blick für den Offensivgeist der Teams spricht.

Doch das erhoffte Spektakel blieb bisher aus, da viele Mannschaften ihre Defensivarbeit auf ein beachtliches Niveau gehoben haben. Konjunktur hat eher, auf den Fehler des Gegners zu lauern. Bezeichnend, dass Welt- und Europameister Spanien gegen Kroatien in der Schlussphase mit Fernando Torres seinen einzigen Stürmer auswechselte und dennoch das Siegtor erzielte.

Wirklich innovativ ist diese Variante der spanischen "1000-Pässe-pro-Spiel-Taktik" aber auch nicht. Dieser EM, die als große Messe der führenden Fußballspektakelhersteller eigentlich immer Neuerungen parat hatte, fehlt noch das kreative, das überraschende Element. Das Schöne: In den ab morgen beginnenden K.-o.-Spielen sind Spannung und Dramatik garantiert. Das genügt zur Not auch.