Krise bietet auch die Chance, Geburtsfehler der Gemeinschaftswährung zu korrigieren

Griechenland hat gewählt, die Welt atmet auf, die Börsen sind beruhigt, die Katastrophenszenarien wieder in den Schubladen verschwunden. Aber warum eigentlich und für wie lange? Denn Hellas ist immer noch pleite, und ausgerechnet jene sollen es jetzt aus dem Tal der Tränen führen, die das Desaster erst angerichtet haben - die konservative Nea Dimokratia und die sozialistische Pasok. Und die haben noch nicht einmal die Mehrheit der Wähler hinter sich, sondern können nur dank eines Bonus von 50 Extrasitzen für den Wahlsieger eine Mehrheit im Parlament stellen.

Ob es also zur erhofften stabilen Regierung kommt, steht noch in den Sternen: Die Haushaltshoheit liegt im Grunde längst bei den Kontrolleuren von EU, EZB und IWF. Ohne deren Plazet gibt es keine neuen Hilfsgelder. Um unter dem Rettungsschirm bleiben zu können, müssen die vereinbarten Reformen umgesetzt werden: 150 000 Staatsbedienstete entlassen, allein in diesem Monat die Ausgaben um elf Milliarden Euro herunterschrauben, Staatsunternehmen an Privatinvestoren verkaufen, Steuern einnehmen und so weiter. Da lässt sich leicht Widerstand von links organisieren. Alexis Tsipras hat die Mitarbeit in einer Koalition bereits abgelehnt und steht mit seinem Bündnis Syriza in den Startlöchern.

Die Frage wird nicht nur sein, ob Athen seinen Verpflichtungen nachkommen will, sondern auch, ob es das überhaupt kann. In Verzug ist man wegen der Neuwahl sowieso. Aber am Ende wird es wohl nicht nur um eine Streckung der Fristen gehen. Die ganze EU wird sich sukzessive auf ein neues Fundament stellen müssen, wenn das Unternehmen Euro und das Projekt europäische Einigung nicht ganz aufgegeben werden sollen.

Theoretisch ist es richtig von Deutschland, auf einmal beschlossenen Verträgen und Grundsätzen zu beharren. Aber wenn sie in der Praxis nicht funktionieren, hat Prinzipienreiterei wenig Sinn. An Verschuldungsgrenzen hat sich auch Berlin bei Bedarf nicht gehalten. Und völlig zu Recht wurde schon bei der Einführung der gemeinsamen Währung kritisiert, dass eine solche ohne eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik ein fragwürdiges Unternehmen darstellt. Nun muss mitten im Strudel der Krise versucht werden, diesen kardinalen Geburtsfehler zu korrigieren. Tatsächlich geschieht das ja auch schon Schritt für Schritt. Und vermutlich sind Krisenzeiten auch die einzige Chance, so etwas umzusetzen. Schon Ende kommender Woche auf dem nächsten EU-Gipfel in Brüssel wird sich zeigen, ob die Europäer in der Lage sind, bei der Vertiefung ihrer Währungs- und Wirtschaftsunion an einem Strang zu ziehen, ob man sich weiter mit einem Rettungsschirm nach dem anderen behelfen will oder ob die Gemeinschaftswährung nicht auch der gemeinsamen Haftung bedarf. Das würde höhere Zinsen für Deutschland bedeuten. Wenn aber die Bürgschaften der Rettungsschirme fällig werden sollten, müssen auch Abermilliarden überwiesen werden. Und dass bei einem kompletten Scheitern des Euro jedes Land für sich im Konkurrenzkampf mit den USA, China, Japan, Indien oder Brasilien besser zurechtkäme, ist sehr fraglich. Auch für Deutschland, dessen Exporte zum Großteil in den Euro-Raum gehen.

Vor allem wird es nun auf Deutschland und Frankreich ankommen. Die beiden wichtigsten Staaten der Union senden seit der Wahl François Hollandes und verstärkt seit dem Sieg seiner Sozialisten bei den Parlamentswahlen in diesen Fragen unterschiedliche Signale aus. Dass sie den Gleichklang wiederfinden, ist für das Schicksal Europas viel wichtiger als die Frage, wer in Griechenland mit seinen gerade mal zwei Prozent Anteil an der Wirtschaftsleistung der Euro-Länder die Regierung bildet. Die wichtigeren Wahlen haben also in Frankreich stattgefunden.