Schon dreimal haben evangelische Christen Kirchentag in Hamburg gefeiert. 100.000 Dauergäste werden auch in einem Jahr wieder erwartet.

Hamburg. Die Stimmung ist aufgeheizt an diesem 19. Juni 1981 in Messehalle 13. Angesetzt ist eine Diskussion unter dem Titel "Den Frieden sichern", auf dem Podium sitzt Hans Apel, damals SPD-Bundesverteidigungsminister. Als er das Wort ergreift, fangen die 8000 Besucher drinnen und die Tausenden vor der Tür an zu pfeifen und mit den Füßen zu trampeln. "Niemand darf den Kreml mit dem Vatikan verwechseln", zitiert das Hamburger Abendblatt den Politiker am nächsten Tag. Und damit, dass er der Sowjetunion einseitige Aufrüstung vorwirft.

Es ist die Zeit der Friedensbewegung, und es ist Kirchentag in Hamburg. Schon Wochen vorher hatten friedensbewegte Christen Front gegen die Minister-Einladung gemacht. Jetzt skandieren sie: "Apel raus". Eier fliegen. Polizisten stürzen mit Schutzschilden auf die Bühne. Da stimmt plötzlich ein Posaunenchor einen Choral an, "Hinterunter ist der Sonne Schein", gleichsam als schützende Schallglocke. Auf Geheiß des Diskussionsleiters zieht die Polizei sich zurück.

+++ Protestantentreffen +++

Die Episode in Messehalle 13 ist in den Annalen des Kirchentags fest verankert. Auch weil sich in ihr das Typische der evangelischen Laienveranstaltung zeigt: protestantischer Widerspruchsgeist. Dreimal war der Kirchentag bislang zu Gast in Hamburg: 1953, 1981, 1995. In einem Jahr, vom 1. bis zum 5. Mai 2013, kommen evangelische Christen aus der ganzen Republik zum vierten Mal an die Elbe. Menschen mit Rucksäcken, die in der U-Bahn fromme Lieder singen, werden dann fünf Tage lang das Bild der Stadt bestimmen. "So viel Du brauchst" lautet das Motto des 34. Evangelischen Kirchentags.

Rund um die Alster, in der HafenCity, auf Messegelände und Heiligengeistfeld und natürlich in den Kirchen wird dann diskutiert und gefeiert. Erwartet werden 100 000 Dauergäste, vielleicht auch mehr. Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. "Man kann selten vorhersagen, was inhaltlich im Mittelpunkt stehen wird", sagt Margot Käßmann. Sie kennt das Geschäft. Die ehemalige Bischöfin, die heute als "Luther-Botschafterin der Evangelischen Kirche Deutschlands" unterwegs ist, war fünf Jahre lang Generalsekretärin des Kirchentags. Auch als dieser 1995 in Hamburg stattfand. Eins sei sicher, sagt Käßmann, "wenn ein Thema auf der politischen Agenda erscheint, wird es auf dem Kirchentag eine Rolle spielen".

So war es auch bei den drei bisherigen Protestantentreffen an der Elbe - in der Rückschau spiegelt sich darin wie unter einem Brennglas jeweils ein Stück deutsche Geschichte. Wenn in einem Jahr die Glocken in der ganzen Stadt zu den Eröffnungsgottesdiensten läuten, sind genau 60 Jahre seit dem ersten Hamburger Kirchentag vergangen. 1953 fand das Christentreffen nur acht Wochen nach dem Volksaufstand am 17. Juni in Berlin statt - und noch als gesamtdeutsche Veranstaltung. Als Motto hatten die Verantwortlichen das Bibelwort "Werft euer Vertrauen nicht weg" ausgesucht. Als Zeichen eines neuen, weniger restriktiven Kurses gegen die Christen hatte die SED-Führung großzügig sogenannte Interzonenpässe verteilt. 10 000 kamen aus der sogenannten Sowjetzone, ganz selbstverständlich aufgenommen von den Hamburgern.

"Es war eine Chance, miteinander zu reden", erinnert sich Carola Wolf, die als junge Volontärin der "Badischen Zeitung" nach Hamburg geschickt worden war, an ein Treffen mit einem jungen Mann aus der DDR. "Bis zum Morgengrauen haben wir in Planten un Blomen gesessen und diskutiert." Mitgerissen worden sei sie von der besonderen Stimmung in der Stadt, sagt die Journalistin, die später Pressesprecherin des Kirchentags wurde. Insgesamt registrierte das Kirchentagspräsidium damals 60 000 Dauergäste. Mehr als je zuvor. Beim Eröffnungsgottesdienst am 12. August war der Platz rund um den Michel voller Menschen. "Über den unebenen Boden, den noch der Trümmerschutt aus den Bombennächten vor zehn Jahren deckt, wehten die weißen Kirchenfahnen mit dem violetten Kreuz in dem wolkenlosen Himmel", beschrieb ein Abendblatt-Journalist das Bild.

Beherrschendes Thema war die deutsche Teilung. Bei der Abschlussveranstaltung im Stadtpark beteten und sangen 250 000 Christen aus West und Ost zum vorletzten Mal gemeinsam für lange Zeit.

Ganz anders das Bild fast 30 Jahre später. "Hamburg 2", wie er im Kirchentagsjargon genannt wird, begann am 15. Juni 1981. Nato-Doppelbeschluss, die Angst vor dem atomaren Wettrüsten bestimmte die politische Debatte. Das Motto "Fürchte dich nicht" knüpfte nicht zufällig daran an. "Es war sehr aufregend", sagt Peter Schulze, der als Zivildienstleistender aus der ostwestfälischen Provinz nach Hamburg gereist war. "Wir wussten nicht, was uns erwartet."

Erwartungsgemäß wird es ein sehr politischer Kirchentag. Die Parole heißt Frieden. Die Forderung nach einer atomwaffenfreien Zone in Europa einte viele der 117 000 Dauerteilnehmer des 19. Kirchentags. Der Kirchentag wurde zur politischen Bühne, auch der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) stellte sich den kritischen Fragen. Überzeugen konnte er, wie zuvor sein Verteidigungsminister Apel, mit seinem Rüstungskurs nicht. Auch die Gruppe um den Friedensaktivisten Schulze war "politisch hoch engagiert". Trotzdem habe es außer der Nachrüstungsdebatte auch andere Themen gegeben, sagt er heute. Schulze ist inzwischen in Hamburg gelandet und bei der Nordelbischen Kirche angestellt. Das habe auch mit dem Kirchentag zu tun. "Es war eine einzigartige Atmosphäre", schwärmt er. "Wir haben uns von Hamburg beschwingen lassen. Auch der Abschlussgottesdienst, "bei dem es geschüttet hat wie aus Eimern und wir bis zu den Knöcheln im Schlamm standen", hat daran nichts geändert.

Daran erinnert sich auch Maria Jepsen. 1981 war sie als Pastorin aus Nordfriesland angereist. 14 Jahre später, beim dritten Hamburger Kirchentag, war sie die gastgebende Bischöfin. "Der Eröffnungsabend war auch wieder kalt und regnerisch, aber doch bunt und schön", sagt die Theologin, die 2010 aus dem Amt schied. 125 000 Dauerbesucher waren gekommen. Es wurde ein Kirchentag der leisen Töne, ohne großes beherrschendes Thema. Sechs Jahre nach dem Fall der Mauer musste man nicht mehr über Nachrüstung und Deutschlandfrage debattieren, auch das Ende des Apartheitsregimes in Südafrika - leidenschaftlich gefordertes Anliegen evangelischer Basisgruppen - war nach dem Amtsantritt Nelson Mandelas vom Tisch.

"Nach 1989 war der Kirchentag auf der Suche nach einer neuen Rolle", sagt die damalige Generalsekretärin Margot Käßmann. Bilder von Lichternächten, Männer und Frauen mit verklärten Gesichtern, die in transzendenten Räumen schwelgen und wegdämmern in vager Spiritualität, bestimmten das Bild. Kritische Stimmen mehrten sich, die dem Kirchentag Bedeutungslosigkeit vorhersagten. 1995, attestiert Käßmann dem Christentreffen, sei ein neues Selbstbewusstsein deutlich geworden - "raus aus der Verteidigungshaltung, zu unpolitisch zu sein und zu viel Fest". Es hat sich gezeigt, dass der Kirchentag beides ist, sagt sie, "spirituell und eine evangelische Zeitansage mit politischem Profil".

Im Juni 1995 hieß das Motto "Es ist dir gesagt Mensch, was gut ist", das Plakatmotiv war angelehnt an ein Autobahnschild. Es ging um Orientierungssuche. "Neu war die ökumenische Zusammenarbeit mit den Religionen", sagt die damalige Bischöfin Jepsen. Auch habe sich der Kirchentag offensiv der deutschen Vergangenheit gestellt und Erinnerungsorte wie Neuengamme miteinbezogen. Es gab eine eigene Veranstaltungsreihe für Schwule und Lesben. Und viel Wohlfühlatmosphäre.

"Zum Schluss wurde es aber doch noch sehr politisch", sagt Jepsen. Ernst Benda, Kirchentagspräsident und Ex-Chef des Bundesverfassungsgerichts, vielen Protestanten als Konservativer suspekt, rief zum"Boykott eines Ölkonzerns" auf - gemeint war Shell -, solange dieser nicht bereit sei, die geplante und umstrittene Versenkung der Ölplattform "Brent Spar" in der Nordsee aufzugeben. Da war er noch einmal, der politische Widerspruchsgeist des Kirchentags, diese besondere Mixtur aus Ungehorsam und Frömmigkeit. "Ich wurde danach zum Shell-Vorstand geladen", sagt Jepsen. Es wurden Gespräche, in denen Wirtschaft und Kirchen sich nähergekommen seien. "Das ist auch etwas, was von diesem Kirchentag in der Stadt geblieben ist."

Bei der Neuauflage in einem Jahr werden viele wieder dabei sein, die schon die vorherigen Treffen an der Elbe miterlebt haben. "Der Kirchentag ist amtlicher geworden, nicht mehr so spontan", sagt Kirchentagsurgestein Carola Wolf. "Ich würde mir mehr Aufbruch wünschen, mehr Irritation." 2013 sollen bürgerschaftliches Engagement für Schwächere und die Frage nach dem richtigen, verantwortungsvollen Wirtschaften im Mittelpunkt stehen.