Die Stadt plant mit Meeresforschern ein Gebäude in Form eines Bootes. 2015 soll es fertig sein. Schwerpunkt werden die Naturwissenschaften.

Wilhelmsburg. Normalerweise haben Meeresforschung und Schule eher wenig miteinander zu tun. Die Wissenschaftler sitzen in Laboren oder fahren auf Spezialschiffen über die Weltmeere. Und Schüler lernen in ihren Klassenzimmern und beschäftigen sich, wenn überhaupt, sehr theoretisch mit Themen wie Klimawandel und Anstieg des Meeresspiegels oder dem Bau von Messinstrumenten. In Hamburg könnte sich das bald ändern. Auf der Elbinsel Wilhelmsburg soll eine maritime Forschungsschule entstehen.

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Äußerlich in Form eines Schiffs, "vor allem aber wird sie von innen ein Schiff abbilden", sagt Jörg Kallmeyer, Schulleiter der Stadtteilschule Wilhelmsburg. Mit dem Internationalen Maritimen Museum und dem Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung Bremerhaven hat er die Idee für das innovative Bildungsprojekt entwickelt. "Uns geht es darum, neue Wege zu finden, um junge Menschen für Naturwissenschaften und Ingenieurtechnologien zu begeistern", sagt Holger von Neuhoff, der als Kurator im Maritimen Museum für das sogenannte Forschungsdeck und die Zusammenarbeit mit dem Konsortium Meeresforschung verantwortlich zeichnet.

Auf seine Initiative waren die Partner im vergangenen Jahr zusammengekommen. Schnell zeigte sich das gemeinsame Interesse. "Mehr als andere haben wir als Schule im sozialen Brennpunkt das Problem, unseren Schülern Naturwissenschaften anschaulich und begreifbar zu machen", so Schulleiter Kallmeyer. Genau da setzt das Alfred-Wegener-Institut an. "Wir wollen Wissenschaft nicht nur unters Volk bringen, sondern vor allem die Jugend begeistern", sagt Prof. Peter Lemke, einer der führenden deutschen Klimaforscher.

In den vergangenen Jahren hat das von ihm initiierte Klimabüro mehrere Schulprojekte entwickelt. Mit dem Projekt unter dem Arbeitstitel "Maritimes Zentrum Elbinsel" soll etwas ganz Neues entstehen.

Die Situation für den ehrgeizigen Plan ist günstig. Die Stadtteilschule am Perlstieg soll abgerissen und neu gebaut werden. Nach den Vorstellungen der Initiatoren könnte dort ein Gebäude entstehen, das einem Schiff nachempfunden ist. Vorbild sind die großen Forschungsschiffe "Meteor" oder "Polarstern" mit Schiffsdecks, Laboren, Werkstätten, Aufenthaltsräumen und einer Kombüse. "Das ist dann bei uns sicher eher eine Lehrküche", sagt Pädagoge Kallmeyer, der die frühere Gesamtschule mit 1000 Schülern seit 2008 leitet. Sein Kollegium hat er im Boot. Erste Treffen zwischen Lehrern und Forschern gab es bereits, Vorbereitungen für neue Unterrichtscurricula laufen. Kallmeyers großes Ziel: "eine Oberstufe mit Schwerpunkt Meeresforschung, die es nirgendwo sonst gibt".

Auch die Schulbehörde befürwortet das Vorhaben. "Es ist sehr sinnvoll und unterstützenswert, weil so mithilfe vieler kompetenter Partner ein explizites naturwissenschaftliches Profil an der Stadtteilschule Wilhelmsburg realisiert werden kann", sagt Sprecher Peter Albrecht.

Auf der Elbinsel wäre es der zweite große Schulneubau. Gerade erst legten Bürgermeister Olaf Scholz und Schulsenator Ties Rabe (beide SPD) den Grundstein für das Bildungszentrum "Tor zur Welt", in das 2013 unter anderem die Elbinselschule und das Gymnasium Kirchdorf-Wilhelmsburg einziehen sollen. So weit ist die Schiffsschule noch nicht. Im Augenblick laufen die Vorbereitungen für die Ausschreibung. Der Kostenrahmen für den Neubau liegt bei 20 Millionen Euro. Das Projekt solle nach Möglichkeit mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds gefördert werden, so Sprecher Albrecht.

Den Initiatoren verfolgen einen weiteren pädagogischen Ansatz. "Ein Schiff ist eine eigene Welt mit klaren Regeln", sagt Museumsmann von Neuhoff. Auf der Schiffsschule könnten Schüler erfahren, wie das Berufsleben funktioniert. Natürlich wird weiter Deutsch, Musik und Mathe unterrichtet, darüber hinaus soll aber vor allem am praktischen Beispiel gelernt werden. Geplant ist etwa, dass ein Tauchroboter installiert wird, der über einen Leitstand von Schülern gesteuert werden kann. Spielerisch könnten Simulationen und Modellberechnungen erprobt werden, aber auch ganz handfeste Fertigkeiten wie Metallarbeiten oder Kartoffelschälen gehören zum maritimen Schulalltag. "Die Schüler sind Forscher, die auf Entdeckungsreise gehen", sagt Klimaforscher Lemke. Sein Institut steht voll hinter dem Konzept, unterstützt es mit Know-how und Personal.

"Die Bedeutung der Ozeane für die Zukunft der Menschen ist immens wichtig", sagt der Klimaphysiker, der 2007 zu den Wissenschaftlern gehörte, die für ihre Forschungen zum Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) gemeinsam mit Al Gore mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurden. Für ihn geht es auch um Förderung von Nachwuchs. Welche Möglichkeiten die Kooperation zwischen Wissenschaft und Schule hat, zeigt das Projekt Highsea, das die Stiftung des Alfred-Wegener-Instituts mit Bremerhavener Schulen entwickelt hat. In der Oberstufe erarbeiten Schüler forschend-experimentell Lerninhalte. Die Experten des Instituts unterrichten mit Lehrern.

Nach dem Zeitplan könnte die Wilhelmsburger Schiffsschule 2015 stehen. "Es ist ein bislang einzigartiges Projekt. Wir wollen das umsetzen", betont Holger von Neuhoff, der wie Stifter und Musueumsgründer Peter Tamm dahintersteht. Wird es dann wie auf jedem Schiff auch eine Kommandobrücke geben? "Irgendjemand wird da sitzen", sagt Schulleiter Kallmeyer und lacht.