Die Vattenfall Lesetage haben den Hamburgern Literatur nähergebracht. Die schrille Kritik am Sponsor ist unangebracht

Nein, man muss Vattenfall nicht mögen. Es gibt gute Gründe, den schwedischen Staatskonzern mit dem schönen Namen "Wasserfall" ins Gebet zu nehmen. Etwa der Plan, ein internationales Schiedsgericht in Washington wegen des Atomausstiegs anzurufen. Auch die regelmäßigen Strompreiserhöhungen, der zögerliche Umstieg auf erneuerbare Energien, die Schlampereien in den Atomkraftwerken Brunsbüttel und Krümmel oder einfach die Verlagerung von Hamburg nach Berlin gehören zu diesen Gründen. Nicht dazu gehören: die Vattenfall Lesetage.

Seit 1999 - damals noch als HEW - engagiert sich der Versorger für Lesen und Literatur. Mit einer Vielfalt von Veranstaltungen wird dafür geworben, werden Kinder und Jugendliche an das Kulturgut Buch herangeführt und nationale wie internationale Autoren nach Hamburg gelockt. Es sind Lese-tage, um die andere Städte Hamburg beneiden. Und es sind keine Ideologiefestspiele - weder lesen Diplomphysiker vom Zauber der Kernspaltung noch leugnen Diplomchemiker auf offener Bühne den Klimawandel. Das Programm ist bunt, so bunt wie die Welt der Literatur.

Offenbar ist das einigen Kulturschaffenden in der Hansestadt zu bunt, sie möchten es grün pur, politisch korrekt, porentief rein und vor allem Vattenfall-frei. Weil die Schweden offenbar als perfektes Feindbild taugen - was wäre eigentlich, wenn Vattenfall ein türkischer Konzern wäre? -, gibt es nun gleich zwei Gegenveranstaltungen in Hamburg: "Lesen ohne Atomstrom", eine Veranstaltungsserie mit einem ziemlich skurrilen Titel, ging in der vergangenen Woche zu Ende. Parallel zu den Vattenfall Lesetagen steigt nun "Lese-tage selber machen. Vattenfall Tschüss sagen". Beide schwimmen mit dem Mainstream, beide teilen, wie Michael Jürgs in einem treffenden "FAZ"-Kommentar kritisiert, die Welt holzschnittartig in Gut und Böse.

Jakob von Uexküll, Gründer des Weltzukunftsrats, reiste extra aus London an, um beim Finale gegen "den Literaturmissbrauch Vattenfalls" zu lesen. Literaturmissbrauch? Geht es auch eine Nummer kleiner? Für Herrn von Uexküll offenbar nicht: "Nach dramatischen Leckagen und Bränden in seinen Atommeilern und dem Bau eines der größten Klimakiller, dem Kohlekraftwerk Moorburg, versucht Vattenfall, als vermeintlicher Literaturförderer sein ramponiertes Firmenimage aufzupolieren."

Da beginnt man zu glauben, Vattenfall sei nicht nur erster Heizer im Welttreibhaus, sondern irgendwie auch verantwortlich für den GAU in Fukushima.

Woher kommt dieser Furor? Um es klar zu sagen: Lesungen sind gut; die Ängste und Widerstände der Menschen kommen nicht aus dem Nichts, das Kulturengagement vieler Ehrenamtlicher ist beeindruckend. Auch über die Rolle von Vattenfall darf und muss man streiten. Aber warum dieser Feldzug gegen ein beliebtes Literaturfestival? Warum muss man ein zweites und drittes schaffen, nur weil einem der Sponsor des ersten missfällt? Warum erst jetzt, wo der Atomausstieg in Deutschland längst beschlossen ist? Und warum machen alle mit? Unter den "Möglichmachern" steht hinter der Roten Flora auch der brave HSV - eine bizarre Gesellschaft.

Und dann finden sich als Unterstützer viele von der Stadt geförderte Kultureinrichtungen: das Altonaer Theater, das Thalia, das Schauspielhaus, die Fabrik - ein seltsames Bündnis gegen einen Literatursponsor und zudem just die alten Bekannten, die eher klamm sind und stets Kürzungen bei der Kultur für unmöglich halten.

Auch bei "Vattenfall Lesetage selber machen" bekommt man schnell ein ungutes Gefühl - wenn man die Radikalität der Unterstützer betrachtet: Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft will zwar das Lesen lehren, aber offenbar nur, wenn es politisch recht ist, also links. Die Landesvertreterversammlung hat - natürlich - einstimmig beschlossen: "Die GEW Hamburg empfiehlt ihren Mitgliedern in allen Bildungseinrichtungen der Stadt, insbesondere in Schulen, Kitas und Stadtteilzentren, in Zukunft vom Energiekonzern Vattenfall organisierte und gesponserte Veranstaltungen bzw. entsprechende Projekte nicht mehr zu unterstützen." Nein, wir ziehen jetzt keine historischen Vergleiche.

Aber wir erinnern uns an den Satz des Nobelpreisträgers Günter Grass, eines Unterstützers der Anti-Vattenfall-Lesetage, der im Gespräch mit dieser Zeitung einst vor einer "Öko-Diktatur" warnte. Man muss befürchten, dass wir längst auf dem Wege dorthin sind.

Matthias Iken beleuchtet in der Kolumne "Hamburger KRITiken" jeden Montag Hamburg und die Welt