Was dürfen Abweichler im Parlament? Von 24-Stunden-Ansprachen in Washington und Anschlagsplänen auf Fidel Castros Zigarre

Fast wäre es dazu gekommen! Hätte Angela Merkel als Kanzlerin nicht zuletzt noch die Notbremse in ihrer Fraktion gezogen, dann hätte die CDU für ein Redeverbot für Abweichler im Parlament gestimmt. Darauf konnten nur deutsche Bürokratenhirne kommen: Redeverbot im Parlament, das ist wie Schwitzverbot in der Sauna oder wie Pinkelverbot im Pissoir.

Vielleicht sollte man daran erinnern, dass das Wort Parlament vom lateinischen "parlare", also reden, kommt. Müsste man dort mit abweichender Meinung schweigen, wäre es ein Schweigekloster, lateinisch ein "Tacerent". Zwar gilt das Sprichwort: "Hättest du geschwiegen, wärst du ein Philosoph geblieben" oder auch "Reden ist Silber, Schweigen ist Gold", aber die Ausnahme sind eben Parlamente, weil dort jeder ungestraft und öffentlich reden kann, der zum Parlamentarier, also zum Redner, gewählt worden ist.

Im Übrigen gibt es in einigen Parlamenten wie im ehrwürdigen US-Senat sogar die Waffe des Dauerredens. Man nennt es "Filibustern", und es ist politische Praxis in den USA, eine Verschleppungstaktik einer Minderheit, um mit langatmigen Redebeiträgen Abstimmungen über Mehrheitsanträge zu verhindern. Dann werden Debatten zu einer Frage des Sitzfleisches und des unterdrückten Harndrangs.

Den berühmtesten Filibuster, mit einer Einzelrede von einer Gesamtlänge von 24 Stunden und 18 Minuten, hielt 1957 der selige Senator Strom Thurmond aus South Carolina, um den Civil Rights Act zu verhindern. Nach Ausführungen zur Sache zitierte er unter anderem die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten und die Wahlgesetze sämtlicher Bundesstaaten sowie die Kuchenrezepte seiner Großmutter. Um nicht auf die Toilette zu müssen, hatte er sich bei einem Saunabesuch prophylaktisch ausgeschwitzt. Ein berüchtigter Dauerredner war auch Kubas Fidel Castro, der allerdings direkt auf dem Marktplatz zu seinem Volk sprach. Der bärtige Polit-Macho hielt gefürchtete stundenlange Reden, mit der Zigarre in der Hand als einziger Stütze. Ihm wollte der US-Geheimdienst CIA die Redezeit verkürzen. Man versuchte seiner Cohiba-Zigarre ein Mittel zu injizieren, das nach Stunden zu Bartausfall führen sollte. Der virile "Lider" (Führer) hätte dann mit nacktem Gesicht blamiert dagestanden.

Solche Gefahren sind im Moment im Bundestag gebannt, weil die Redezeit dort ohnehin beschnitten ist. Aber nun darf, bis auf Weiteres (?), jeder reden. Ohne Maulkorb für Abweichler.