Passagierin der entführten Fähre schildert die Geiselnahme. Verfassungsschutz rechnet mit weiteren PKK-Aktionen

Finkenwerder. Die Jüngste ist gerade erst 16 Jahre alt, der Älteste 27. Nur zwei von ihnen wohnen in Hamburg, die anderen kommen aus Niedersachsen und Berlin. Die neun Entführer der Hadag-Fähre "Elbwiese" sind bei der Polizei keine Unbekannten. Erst am Mittwoch hatten mehrere von ihnen ein Spruchband mit Parolen der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK am Michel entrollt. Während die Fähre am Freitag wieder das Elbwasser durchpflügte und auch der 42 Jahre alte Kapitän wieder hinter einem Steuer stand, gab die Polizei bekannt, dass keiner der Täter in Untersuchungshaft muss.

Der älteste der Aktivisten verließ am Freitagnachmittag als Letzter das Polizeipräsidium in Winterhude. "Es gibt keine Haftgründe", begründete Oberstaatsanwalt Wilhelm Möllers, Sprecher der Staatsanwaltschaft, die Entscheidung. Die Täter haben feste Wohnsitze. "Es gab keine konkrete Gefährdung, keine Waffengewalt." Nach rechtlicher Prüfung müssen sie sich wegen des Verdachts der Nötigung und der Freiheitsberaubung verantworten. Darauf stehen bis zu fünf Jahre Haft.

Am späten Donnerstagnachmittag hatten sie die Hadag-Fähre nahe Finkenwerder für eine halbe Stunde als Teil einer Protestaktion für den in der Türkei inhaftierten Kurdenführer Abdullah Öcalan in ihre Gewalt gebracht. Sie drängten den Kapitän vom Ruder, verbreiteten über das Bordmikro Parolen und entrollten ein Plakat.

Carola M. aus Finkenwerder erlebte die Aktion mit. Sie hatte Feierabend, wollte mit der Fähre vom Arbeitsplatz in der City nach Hause fahren. Die Angestellte: "Es war beklemmend. Plötzlich gab es diese seltsame Durchsage: Wenn ihr mich hört, einmal die Hände hochhalten!" Dann habe eine Frau ganz höflich um Aufmerksamkeit gebeten und die Freilassung Öcalans gefordert. Carola M. schildert: "Das Schiff trieb führerlos auf der Elbe. Ein Mädchen fing an zu weinen. Ich habe versucht, es zu beruhigen. Aber es war Ausländerin, hat mich wohl nicht verstanden."

Derweil trieb die "Elbmeile" in Richtung Teufelsbrück. "Der Kapitän war unheimlich cool, ihm haben wir viel zu verdanken", sagt Carola M. "Wir sind doch alle als Unschuldige in diese Situation hineingezogen worden."

Beamte der Wasserschutzpolizei nahmen die Aktivisten kurz nach 18 Uhr fest, ohne dass diese sich wehrten. Wie Andreas Schöpflin, der Sprecher der Wasserschutzpolizei, mitteilte, waren auf der Fähre insgesamt 79 Passagiere. Wie die Ermittlungen ergaben waren die Entführer, drei Deutsche und sechs Türken, an den Landungsbrücken zugestiegen. Nach den ersten Notrufen von Bord hatte die Polizei den Schiffsverkehr auf der Elbe gestoppt, einen Hubschrauber und 23 Streifenwagen sowie alle verfügbaren Streifenboote entsandt. Zwei Polizeiboote gingen schließlich längsseits. Die führungslose Fähre habe kurz davorgestanden, mit Tonne 130 zu kollidieren. Daraufhin "entstand eine Gefahrenlage für die Sicherheit der Fahrgäste, des Schiffsführers sowie der Sicherheit und der Leichtigkeit des Schiffsverkehrs", sagte Schöpflin. Die Beamten der Wasserschutzpolizei hätten daraufhin entschieden, die Fähre zu "borden".

Die Passagiere stiegen um auf das Streifenboot "Herbert Weichmann". Auf Finkenwerder wurden die PKK-Anhänger in einen Polizeibus gebracht. Laut dem Chef des Hamburger Verfassungsschutzes, Manfred Murck, handelt es sich bei ihnen um Mitglieder der PKK-Jugendorganisation "Komalen Ciwan" ("Jugendunion"). "Mitglieder dieser Gruppe sind bereits mehrfach aufgefallen. Die Entführung der Fähre war vermutlich Teil einer Reihe von deutschland- oder gar europaweiten Aktionstagen. In Köln war bereits kurz zuvor eine Fähre gekapert worden. In Dortmund besetzten PKK-Aktivisten das Audimax der Uni, in Berlin verteilten PKK-Frauen Flugblätter vor dem Auswärtigen Amt. Und auch in Frankreich gab es Kundgebungen", sagte Murck. In Straßburg befinden sich PKK-Anhänger im Hungerstreik, um auf die Haftbedingungen Öcalans aufmerksam zu machen. Auf den Hungerstreik verwiesen auch die Hamburger Fähren-Piraten.

Laut Murck hat sich die Anhängerschaft der PKK in Hamburg zuletzt kaum vergrößert. Sie liegt bei etwa 600 Personen. Allerdings ist der Zeitraum zwischen den einzelnen Aktionen kürzer geworden. Im Oktober stürmten Kurden in die Rathausdiele, auch in der CDU-Geschäftsstelle gab es eine kurze Besetzung. Manfred Murck: "Wir rechnen damit, dass es in den kommenden Wochen weitere Aktionen geben wird."

Video der Festnahme auf abendblatt.de/kurden