"Wer hängt da?" "Das ist Jesus." Die Drittklässler, die unsere Kirche besuchen, haben schon von Jesus gehört. Als Gottessohn oder Prophet ist ihnen Jesus bekannt. Geboren zu Weihnachten. Aber warum das "Kindlein in der Krippe" nun hier am Kreuz hängt? Und: Hatten sie nicht gerade Ostern gefeiert? Da war ihnen doch erzählt worden, dass Jesus lebt. Manches bleibt für sie rätselhaft. Die Jungen und Mädchen durchstreifen die Kirche. Sie staunen über die Höhe des Raums und begeistern sich für die Orgel. In welche Richtung wohl die blau-grün-roten Kirchenfenster weisen? Der Kompass bringt es ans Licht. Nach Osten. Dorthin, wo die Sonne aufgeht. Der Streifzug durch die Kirche ist eine richtige Entdeckungstour. Ein Haus gebaut für Gott. Und in dem Haus lässt es sich wunderbar beten. Aber was ist das, und wie macht man das?

Die Kinder sitzen im Kreis auf dem Boden. Wer Neues entdeckt, hat viele Fragen. Einige Kinder waren schon mal in der Kirche, andere habe ich noch nie gesehen. Etwa ein Drittel der Kinder geht regelmäßig in die Koranschule. Religion gehört also irgendwie dazu und Gott auch. Aber: wie beten? Zwei Kinder zeigen uns, wie sie als Moslems beten. Die Sprache hört sich fremd an. Es ist ein bewegtes Sprechen zu Gott. Der Respekt vor dem, was die Kinder sehen, liegt in der Luft, auch Faszination und Stolz. Wir probieren Gebetsformen aus. Und die Christen? "Ich kann Gott Geheimnisse erzählen", sagt ein Junge. Und es gibt Worte, die man gemeinsam beten kann. Die Worte kommen von Jesus. Nun streckt ein Mädchen, das ich vor einiger Zeit getauft habe, den Arm in die Höhe. Sie möchte das Vater Unser mit mir zusammen sprechen. Wir falten die Hände und beten: "Vater Unser im Himmel, ..." Es ist still um uns herum. Respektvolle Stille.

An diese Entdeckungsreise in der Kirche denke ich gerne. Wir haben uns miteinander auf die Suche nach Gott gemacht. Mit unseren Gebeten haben wir einander etwas Kostbares gezeigt, ohne Angst haben zu müssen, verlacht zu werden. Das sind kostbare Momente. Lebendig und weitaus anschaulicher, als wenn einem kommentarlos der Koran oder die Bibel in die Hand gedrückt wird. Demnächst besucht die 3. Klasse eine Moschee. Wer weiß, was sie dann fragen.

Pastorin Anja Blös, Finkenwerder und Moorburg bloes.finkenwerder@kirche-hamburg.de