Ein langfristiger Erfolg der Piraten dürfte dem Land mehr Große Koalitionen bescheren

Bislang galt die Wahl in Schleswig-Holstein nur als spannend, nach der jüngsten Umfrage dürfte sie zum Nervenkitzel werden. Weder steht fest, wie der nächste Ministerpräsident heißt, noch welches Bündnis ab Mai regiert, noch welche Partei überhaupt den Sprung ins Parlament an der Kieler Förde schafft. Klar ist nur eins: Die Piraten verändern das Machtgefüge radikal und erschüttern sämtliche Lagertheorien.

In der jüngsten Umfrage des NDR kommen die Piraten auf zehn Prozent der Stimmen. Es schadet der Partei nicht, dass ihr Programm beschränkt ist oder teilweise skurrile Forderungen enthält - wie etwa die Abschaffung von Studiengebühren, die es im Norden gar nicht gibt. Die Piraten sind offenbar für viele, denen die Probleme dieser Zeit zu unübersichtlich sind, ein attraktives Angebot zur Vereinfachung der Welt. Und sie sind der letzte Schrei des Wahlsommers, in dem Moden mehr und mehr Milieus ersetzen: Noch vor einem Jahr standen die Grünen im Norden wie im Bund bei mehr als 22 Prozent; vor zweieinhalb Jahren schien das Projekt 18 der FDP Wirklichkeit zu werden.

Stimmungen sind flüchtig. Doch bis zum Wahltermin am 6. Mai wird der Trend hin zu den Piraten halten - und vieles in Kiel durcheinanderwirbeln. Tendenziell wildern die Piraten vor allem im linken Lager und bei den Protestwählern. Sie entern nicht nur die Parlamente, sie könnten auch die Partei sein, die die Linkspartei dauerhaft im Westen versenkt. Gegen die Freibeuter der Generation Internet sehen Gewerkschafter, Alt-68er und Sozialisten ziemlich alt aus. In der aktuellen Umfrage kommt die Linke in Schleswig-Holstein gerade noch auf zwei Prozent.

Auch für Grüne und SPD sind die Piraten gefährlich - der Abstieg der Grünen in der Wählergunst läuft synchron zum Aufstieg der Piraten. Weil die SPD trotz sehr guter Werte für ihren Spitzenkandidaten Torsten Albig bei 32 Prozent verharrt, rücken rot-grüne Optionen in weite Ferne. Die Piraten rauben diesem Lager die Stimmen, die es in Richtung 50 Prozent hieven könnten. In Schleswig-Holstein wächst damit die Wahrscheinlichkeit einer sogenannten Dänen-Ampel, einem Bündnis aus SPD, Grünen und dem Südschleswigschen Wählerverband.

Ironischerweise könnte auch die FDP vom Modetrend profitieren, auf dem die Piraten segeln: Deren Erfolg polarisiert, der äußere Feind eint nach innen - traditionell liberale Wähler erachten die FDP im Vergleich zu den Piraten als seriös, staatstragend - und unverzichtbar. Immerhin fünf Prozent, für die FDP des Jahres 2012 ein Traumergebnis, trauen die Demoskopen der Truppe um Wolfgang Kubicki plötzlich wieder zu.

Doch auch wenn die FDP sich dauerhaft oberhalb der magischen Fünf-Prozent-Hürde halten sollte - ihre Schwäche macht bürgerliche Bündnisse derzeit unmöglich. Die FDP-Baisse verlangt der CDU Wahlergebnisse von deutlich über 40 Prozent ab - das sind Zahlen, die diesseits von Bayern für die Union außerhalb der Vorstellungskraft liegen. Aufgrund der Schwäche der Grünen erscheint aber auch die Zukunftsoption Schwarz-Grün eher als Gedankenspiel der Vergangenheit.

Die Stärke der Piraten geht zudem mit der Schwäche der traditionellen Volksparteien einher - in der jüngsten Umfrage kommen CDU und SPD im Norden zusammen nicht einmal mehr auf zwei Drittel der Stimmen. Im Rest der Republik sieht es ähnlich aus. Und weil in den anderen Bundesländern ein Südschleswigscher Wählerverband als Mehrheitsbeschaffer fehlt, ist die Konsequenz klar. SPD und CDU dürften insgesamt nicht seltener regieren, sondern häufiger - gemeinsam als Notbündnis in zersplitterten Parlamenten. Große Koalitionen mögen kein Wunsch der Piratenwähler sein, sie sind aber ihre logische Folge.