Der Vorsitzende wird auf dem Parteitag noch geschont. Doch über seine Zukunft entscheiden die Wahlen in NRW und Schleswig-Holstein

Die Analyse war böse, aber zutreffend. "Ich halte Westerwelle für irreparabel beschädigt", urteilte Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) im September 2011 über den damaligen FDP-Vorsitzenden und Vizekanzler Guido Westerwelle. Der Satz markierte einen ersten Tiefpunkt der schwarz-gelben "Wunschkoalition".

Westerwelle ist längst eine Randfigur der deutschen Politik geworden. Doch Röttgens Verdikt ist, wie sich das für einen Umweltminister gehört, recycelbar. Er selbst könnte bald für seine Kanzler-Ambitionen "irreparabel beschädigt" sein, wenn er als Wahlverlierer in Düsseldorf seinen NRW-Landesverband im Stich lässt und sich in sein Berliner Ministerium verdrückt. Vor allem aber ist Westerwelles Nachfolger, FDP-Chef Philipp Rösler, bereits nach knapp einem Jahr Amtszeit "irreparabel beschädigt".

Rösler hat es in dieser kurzen Zeit geschafft, seine Autorität zu verspielen. Als kürzlich der neue NRW-Landesvorstand bestimmt wurde, musste der Bundes-FDP-Chef draußen vor der Tür warten. Was immer Rösler sagt oder tut: Es ist meist fehlerhaft und peinlich. Deshalb wird ihn ein gutes Abschneiden seiner Partei bei den kommenden Landtagswahlen, ob in Nordrhein-Westfalen oder in Schleswig-Holstein, nicht im Amt stabilisieren. Sondern, so paradox es klingt, es wird ihn weiter schwächen. Je besser die FDP dasteht, desto lauter wird der Ruf werden: Rösler muss gehen, damit er nicht die Chancen der Partei durch weitere Blamagen verdirbt.

Von Anfang an hat der 39-jährige Vizekanzler ein kurioses Unverständnis für die Regeln und die Mechanismen der Politik erkennen lassen. Er glaubte, als FDP-Chef in der Libyen-Krise die deutsche Außenpolitik vorgeben zu können, nur weil der Außenminister in der FDP ist. Das Ergebnis der innerparteilichen Abstimmung zum Euro-Rettungsschirm gab er bekannt, als die Stimmabgabe noch lief. Bei so viel politischem Nichtwissen müsste Rösler bei Jauchs Millionärsquiz schon vor der 50-Euro-Frage zittern.

Selbst wenn er einmal etwas richtig macht, zerstört er den Erfolg gleich selbst wieder. So, als er sich nach der von den Liberalen durchgesetzten Gauck-Nominierung über Kanzlerin Merkel lustig machte wie ein Schuljunge, der seiner Lehrerin einen Kaugummi an den Rücken geklebt hat. Oder als er nach der Ablehnung einer Schlecker-Auffanggesellschaft den arbeitslosen Verkäuferinnen riet, sie sollten sich "selbst um eine Anschlussverwendung bemühen". Was in der Öffentlichkeit als wirtschaftspolitische Standfestigkeit verstanden werden sollte, klang nur nach sozialer Kälte.

Für den FDP-Parteitag am kommenden Wochenende will Rösler die Partei auf das neue Schlagwort "Wachstum" einschwören. Wer soll da begeistert sein? Welchen Wähler soll das packen? Wachstum war nie ein Wert an sich, es wurde lediglich jahrzehntelang als Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg angesehen. Mittlerweile wird der Begriff sehr differenziert diskutiert. Der Energieverbrauch zum Beispiel soll überhaupt nicht mehr wachsen, sondern schrumpfen. Der wirtschaftliche Erfolg bekommt neue Grundlagen. "Was soll denn das sein? Familienwachstum? Haarwachstum?", höhnt der schleswig-holsteinische FDP-Spitzenkandidat Wolfgang Kubicki denn auch über Röslers Slogan.

Der Parteitag wird Rösler und sein Programm zwar notgedrungen bejubeln, doch es wird ein gespenstischer Jubel sein. Denn die wichtigeren Termine sind die Landtagswahlen zwei und drei Wochen später. Und die wahren Stars der Partei sind Kubicki im Norden und Christian Lindner als FDP-Spitzenkandidat in Nordrhein-Westfalen. Wenn sie es schaffen, über die Fünf-Prozent-Hürde zu kommen, darf die FDP auch wieder für die Bundestagswahl 2013 hoffen. Dafür muss sie dann allerdings ihre besten Leute nach vorne schieben. Also Lindner und Kubicki, der sich mal für einige Zeit der Parteidisziplin unterwerfen müsste. Dazu noch den soliden Profi Rainer Brüderle.

Für Rösler ist in einer solchen Konstellation kein Platz. Wenn die FDP also bei den Wahlen gewinnt, dann muss er gehen. Fliegt sie aus den Landtagen, kann er bleiben. Dann ist für die FDP ohnehin alles egal. Dann ist die ganze Partei irreparabel beschädigt.

Der Autor Alfred Merta, 57, beobachtet seit mehr als 35 Jahren die deutsche Politik