Die Vorwürfe der CSU gegen die Hamburger Einbürgerungsinitiative sind so ärgerlich wie abgeschmackt

Man sollte Politikerinterviews nicht immer zu ernst nehmen - die Herren (manchmal auch Damen) produzieren sich, wiederholen viel Altbekanntes und wollen mit einem steilen Statement die Debatte anheizen und sich selbst in die Schlagzeilen und Nachrichten hineinreden. So ist das Geschäft. Gerade bei Generalsekretären, der Abteilung Attacke, geht es gern laut und rauflustig zu. Die jüngste Attacke des CSU-Generalsekretärs Alexander Dobrindt gegen Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz aber ist ein Ärgernis. Und das hat nicht mit landsmannschaftlichem Denken zu tun.

Im Berliner "Tagesspiegel" keilte Dobrindt am Donnerstag kräftig Richtung Hamburg. Über die hiesige Einbürgerungsinitiative wettert der Mann aus München: "Unser deutscher Pass ist kein Ramschartikel, und Einbürgerungsquoten sind kein Maßstab für Weltoffenheit."

Viele Medien zitierten Dobrindt, doch originell waren die kernigen Sätze weder in Inhalt noch in der Form. "Ramschartikel" - das hatte man doch schon mal irgendwo gehört? Richtig: Der Presseagentur dapd hatte Dobrindt schon Mitte März in den Block diktiert: "Es wäre das völlig falsche Signal, wenn wir unseren deutschen Pass zum Ramschartikel machen", die Weltoffenheit eines Landes bemesse sich nicht an Einbürgerungsquoten. Und dreimal ist Münchner Recht: "Die deutsche Staatsbürgerschaft ist kein Ramschartikel", postulierte der Politiker schon am 6. August 2011 im "Bayernkurier" - und damit Monate vor dem Scholzschen Vorstoß.

Unsinn wird nicht richtiger, wenn man ihn ständig wiederholt. Was hat Hamburg beziehungsweise der Senat denn so Ungeheuerliches getan? Die Stadt hatte im Dezember begonnen, Briefe des Bürgermeisters an jene 137 000 Hamburger zu versenden, die die Voraussetzungen zur Erteilung der deutschen Staatsbürgerschaft erfüllen. Das bedeutet: Die Menschen müssen seit mindestens acht Jahren in Deutschland leben, Arbeit haben, deutsch sprechen und dürfen nicht vorbestraft sein. Wie erfolgreich die Initiative ist, bleibt abzuwarten. Scholz zieht - wenig überraschend - schon eine positive Zwischenbilanz. So stieg die Zahl der Einbürgerungsanträge zwischen Dezember und März um 34 Prozent.

Die Initiative ist ein Schritt in die richtige Richtung - weil sie pragmatisch ist und zukunftsweisend. Pragmatisch deshalb, weil der Brief die Gesetzeslage mit einer Geste der Ermutigung umsetzt, statt wohlfeile Reden über Integrationspolitik zu halten. Es war das Drama der deutschen Zuwanderungspolitik, dass sie über Jahrzehnte vor allem von den radikalen Rändern bespielt wurde: Die einen leugneten wider besseren Wissens, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist; die anderen überhöhten jeden Migranten zu einem besseren Menschen ("Liebe Ausländer, lasst uns mit den Deutschen nicht allein") und weichzeichneten die Zukunft als multikulturelles Paradies. Beide irrten gewaltig - und verhinderten den Blick auf die Wirklichkeit: Zuwanderung birgt für Deutschland enorme Chancen, bringt aber naturgemäß Probleme mit sich. Diese Probleme kann man besser angehen, wenn man die Chancen erkennt.

Einbürgerung ist eine Chance - sie macht Bürger zweiter Klasse endlich zu Staatsbürgern. Deutschlands Probleme, Deutschlands Hoffnungen werden so viel stärker auch zu den Problemen und Hoffnungen der Eingebürgerten. Dies lernte jeder Durchschnittsdeutsche spätestens seit den Erfolgen der Fußballnationalmannschaft mit Spielern wie Özil, Khedira, Klose oder Podolski zu schätzen.

Wer, wie Dobrindt, anders argumentiert gefährdet nicht nur die Nationalelf, sondern die Integration insgesamt. Argumentativ bewegt er sich in den Niederungen der 80er-Jahre, wenn er sagt: "Solche wirren Einbürgerungsthesen setzen ein völlig falsches Signal." Dabei ist er es, der falsche Signale setzt - er verteilt die Aufgabe der Integration allein an die Zuwanderer. Eingliederung ist aber ein Prozess, der von zwei Seiten kommen muss, vom Zuwanderer wie von der Mehrheitsgesellschaft. Wer wie Dobrindt am liebsten über Integrationsdefizite sprechen möchte, reduziert die Einwanderer wieder auf dieses Problem. Bei vielen Migranten kommt dann die Botschaft an: Ihr gehört nicht dazu.

Man kann nur hoffen, dass Dobrindts Parteifreund Ole von Beust sein neues Buch nach München schickt: Der ehemalige Bürgermeister geht in "Mutproben" übrigens weit über die Forderungen seines Nachnachfolger Scholz hinaus - aber vielleicht hält Dobrindt diese Thesen ja auch für wirre Ramschware.

Matthias Iken beleuchtet in der Kolumne "Hamburger KRITiken" jeden Montag Hamburg und die Welt