Ein Kommentar von Armgard Seegers

Nun ist es also so weit. Das Thalia wird sein Versprechen wahr machen und Stücke herausbringen, die per Mehrheitsabstimmung von Zuschauern ausgewählt worden sind. Dürrenmatts "Die Ehe des Herrn Mississippi", ein Stück, in dem fünf Utopien mit naivem Ernst aufeinander losgelassen werden, hatte man in den vergangenen Jahrzehnten kein bisschen vermisst. Aber seit wann sind Mehrheitsentscheidungen etwas Gutes? Im Fernsehen, wo das Programm oft genug nach Mehrheitsterror aussieht, würde man dann wahrscheinlich nur Fußball, Fettabsaugungen und Flirtshows sehen. In der Musik gäb's ausschließlich Jürgen Drews, im Kino irgendwas mit Harry Potter oder karibischen Piraten. Nein, Künstler sind für anderes da als für Wahlergebnisse. Sie sollen Neues, Sinnliches, Aufregendes erschaffen. Aber bitte nicht nach Mehrheitsabsprache.

Ebenso hinderlich für die Kunst ist es, dass Ministerien und Finanzbehörden die Theater zunehmend und fast ausschließlich nach ihren Erfolgen an der Kasse taxieren. Das ist doch kein Kriterium für gutes Theater! Gutes Theater spricht unsere Köpfe und Herzen an, bewegt uns, regt uns zu Diskussionen an, zeigt uns Unerhörtes und nie Gesehenes, löst im besten Fall einen Tsunami an Emotionen aus. Gutes Theater ist ein Werbemagnet für jede Stadt. Gutes Theater sollte nicht um Geld betteln müssen.