Im Buch “Mutproben“ verbindet Ole von Beust politische Positionen mit seiner Autobiografie. Das Abendblatt druckt Auszüge (Teil 5)

Heute geht es nicht mehr um die Frage, ob Menschen mit Migrationshintergrund hier bleiben oder darum, wann sie zurückkehren in ihr Ursprungsland. Heute sind diese Menschen fester Teil unserer Gesellschaft. Trotz widriger Umstände haben sie viel geschafft. Sie haben für Deutschland eine immens wichtige Rolle gespielt, ganze Industriezweige sind durch sie entstanden. Viele haben sich eigene Existenzen aufgebaut, obwohl die Ausgangslage nicht immer optimal war in einem für sie fremden Land. Dies verdient Dank und unsere Hochachtung.

Nun liegt es an uns, ihnen im Gegenzug eine Zukunft zu bieten. Eine Teilhabe an der Gesellschaft, in der nicht die Herkunft zählt, sondern einzig und allein der eigene Wille. Wir haben Grund, stolz darauf zu sein, welche Chancen uns Deutschland bietet. Die französische oder die britische Gesellschaft ist im Vergleich dazu abgeschotteter. In diesen Ländern fühlen sich viele Menschen trotz französischem oder britischem Pass und guten Sprachkenntnissen nicht dazugehörig und sehen keine Aufstiegschancen. In Deutschland hingegen, so makaber das klingen mag, haben wir durch das historische Phänomen des Zweiten Weltkrieges zwangsläufig eine relativ durchlässige Gesellschaft. Die Eliten sind gefallen, ermordet worden, oder sie konnten emigrieren. Die damit verbundene Abschottung gibt es seither kaum. England oder Frankreich haben ihre gesellschaftliche Zementierung Jahrhunderte zuvor erfahren. Deutschland musste erst im letzten Jahrhundert einen Neustart machen - mithilfe der Besatzungsmächte. Was dann entstanden ist, ist unter vielen Gesichtspunkten weniger dünkelhaft. Historisch hat Deutschland insofern gute Chancen. Doch bis heute machen wir es vielen sehr schwer, sich vernünftig integrieren zu können. Integration bedeutet nicht zuletzt, sich einer Gesellschaft zugehörig zu fühlen. Das geht manchmal nur Schritt für Schritt, und die doppelte Staatsbürgerschaft wäre ein richtiges Zeichen. Doch für die CDU ist dies noch immer ein großes Dogma.

1999 stellte sich Roland Koch an die Spitze einer bundesweiten Kampagne der Christdemokraten, in der es hieß: "Ja zu Integration - nein zu doppelter Staatsbürgerschaft". Über fünf Millionen Unterschriften kamen zusammen, die diese Aktion unterstützten und die sich gegen ein Vorhaben der damaligen rot-grünen Regierung stemmten, das Staatsbürgerschaftsrecht zu reformieren. Das ist über zehn Jahre her, trotzdem bestehen weiter Vorbehalte gegen die doppelte Staatsbürgerschaft. Warum eigentlich?

Um uns herum haben viele Länder die doppelte Staatsbürgerschaft eingeführt. Innerhalb der EU ist es kein Problem, diese zu bekommen. Deutschland aber wehrt sich dagegen. Wenn jemand sagt, er möchte gerne Deutscher werden, aus emotionalen oder rechtlichen Gründen will er sich jedoch nicht aus der Türkei abmelden, bricht uns kein Zacken aus der Krone, wenn wir ihm dies ermöglichen. Wir bieten einem hier Geborenen lediglich an, sich mit Erreichen des 18. Lebensjahres für oder gegen die deutsche Staatsbürgerschaft zu entscheiden. Beides aber geht in Deutschland nicht - für die Mehrzahl der Betroffenen ein Dilemma.

Ich vermute, dass auch in diesem Punkt die größte Hürde die Angst vor dem Wähler ist. Die doppelte Staatsangehörigkeit betrifft eine Minderheit: Nicht mal zehn Prozent der hier lebenden Menschen stehen vor dieser Entscheidung. Andererseits geht man in der Politik davon aus, dass die Mehrheit, vor allem konservative Wählerschichten, sich gegen eine doppelte Staatsangehörigkeit ausspricht.

Andere Länder haben eine logische, simple Lösung: Wer im Land geboren wird, erlangt automatisch die Staatsbürgerschaft. In Deutschland zählt das Blut der Eltern. Eine Marotte aus dem 19. Jahrhundert, die von der Realität längst überholt ist, aber an der leider krampfhaft festgehalten wird.

Ole von Beust: "Mutproben. Ein Plädoyer für Ehrlichkeit und Konsequenz" erscheint am 17.4. im Gütersloher Verlagshaus und kostet 19,99 Euro

Lesen Sie morgen den letzten Teil: Ole von Beust über seinen Rücktritt